Wer meinen Blog einigermaßen aufmerksam verfolgt, der weiß, dass ich ein kleines Insektenproblem habe


Oder eigentlich sollte ich sagen, Insekten haben ein kleines Problem mit mir.

Oh, bitte, mir ist bewusst, dass wir einander brauchen und aufeinander angewiesen sind. Ich kenne die ganze Kette der Notwendigkeiten. Insofern ist mir die Wichtigkeit und Daseinsberechtigung von Spinnen wohl bewusst. Übrigens finde ich es absolut anmaßend, Mitgeschöpfe in nützlich und schädlich einzuteilen. Spinnen, die in meiner Nachbarschaft leben, sind einfach gut beraten, sich mir nicht zu zeigen, egal, wie nützlich sie sich fühlen.

 

Und doch war ich einmal mit einer Spinne befreundet.

Nur kurzfristig zwar, vielleicht für zwei Wochen, aber immerhin.

Es begann damit, dass ich auf einem alten Jutesack in einem meiner Gartenbeete saß und Unkraut zupfte. Das ist eine Beschäftigung nach meinem Geschmack, ich kann so gut dabei nachdenken. In diesem Fall muss es sich um erfreuliche Gedanken gehandelt haben, dann ich begann nach einer Weile, leise vor mich hinzusingen.

Mein Gesang ist, vorsichtig gesagt, nicht  für Publikum geeignet. Man kann schließlich nicht auf allen Gebieten gleichermaßen talentiert sein.

Trotzdem bemerkte ich plötzlich, dass ich einen Zuhörer hatte. Eine mittelgroße Gartenspinne hatte sich auf das Blatt einer Bohnenranke gesetzt. Mir blieb der Gesang im Hals stecken. Indessen war ich zu guter Laune, um der Spinne etwas zuleide zu tun. Nach einigen Minuten verließ sie ohnehin ihren Platz und schwebte an ihrem Faden zu Boden.

Am nächsten Nachmittag saß ich einige Meter weiter ebenso auf dem Boden – ja, das war das große Säuberungsprogramm meines Gartens im Frühling. Wieder sang ich ein wenig, sehr gedämpft und diskret – und beobachtete, wie die Spinne vom Vortag es sich auf einem Brennesselblatt bequem machte. Es war ganz sicher dieselbe Spinne nach Größe und Farbe. Und sie schien Wert darauf zu legen, möglichst dicht vor mir ihren Platz einzunehmen. 

Ich hörte auf, zu singen und betrachtete den kugeligen Körper und die acht dünnen Beine. Sie ihrerseits stand auf und machte Anstalten, zu verschwinden. Da kam mir die absurde Idee in den Kopf: Vielleicht mag sie Gesang, egal, wie schlecht er ist? Ich fuhr also mit meinem Liedchen fort – und sie krabbelte wieder auf mich zu und verharrte.

Im Biologieunterricht  hatte ich gelernt, dass Spinnen keine Ohren besitzen. Dafür jedoch etwas  wie Lauschhaare am ganzen Körper. Vielleicht kitzelte mein Singen sie wie eine Massage?

Während  ich also mit dem Lied fortfuhr, überlegte ich bereits, was  ich ihr als nächstes bieten konnte.

Ich brummelte alte Schlager, die ich von meiner Mutter kannte, Cole-Porter und Country. Es klang ziemlich zum Steinerweichen. Nach fünf Liedern verstummte ich: mir fiel keines mehr ein. Die Spinne wartete noch ein wenig und verließ, als ihr  klar wurde, dass keine Zugabe folgte, die Brennessel – die ich anschließend ausrupfte.

Zu unserem dritten Nachmittag kam ich gerüstet, indem ich die Texte zu einigen meiner Lieblingslieder noch einmal nachgelesen hatte. Ich begann mit ‚Sentimentel Journey‘, machte weiter mit ‚Golden Earrings‘ und brachte, so gut ich eben konnte, ‚Blumen für die Dame‘. Die Spinne erschien hastig nach der ersten Strophe. Allmählich musste ich es glauben: sie wollte mich singen hören, gar kein Zweifel!

Fünf Tage lang rupfte ich Unkraut und sang für eine Gartenspinne. Dann waren die Beete picobello, auch schon neu bepflanzt. Ich hätte also meine neue Freundin im Stich lassen können und etwas anderes tun.

Doch ich trat noch mindestens eine Woche lang im Garten auf.

Manchmal saß sie schon da und wartete. Manchmal kam sie eilig angelaufen und hockte sich auf ein Blatt. Einige Minuten nach dem letzten Lied, wenn sie sicher war, das nichts mehr kam, machte sie sich immer davon.

Aber eines Tages wartete ich umsonst auf sie.

Ich brachte ‚Gimme, Gimme, Gimme a Man After Midnight‘ und gleich hinterher: ‚Material Girl‘ – meine Zuhörerin ließ sich nicht blicken.

Vielleicht hatte sie geheiratet und war umgezogen.

Oder die Amsel hatte sie gefrühstückt…

 


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