23. Januar: Tag der Handschrift


Handschrift ist, wenn man keine Tastatur hat.

Manchmal braucht man Handschrift zum Unterschreiben. Ziemlich häufig in letzter Zeit auf einem winzigen Display mit einem derben Stift – das Ergebnis sieht aus, als hätte es mein Dackel nach Genuß von acht Cognacbohnen signiert. Gilt aber als seriös und glaubwürdig.

Andererseits muss gesagt werden, dass der Paketbote, vermutlich unter dem Eindruck der Seuche,  bereits im vergangenen Jahr keine Unterschrift dieser Art mehr begehrte. Er warf einem das Paket aus einiger Entfernung zu, (sofern er es nicht überhaupt an seltsamen Plätzen im Garten versteckte) und sah zu, dass er Land gewann.

Handschrift ist auf jeden Fall noch notwendig für ein Testament. Das MUSS handgeschrieben sein, nicht nur die Unterschrift. Man sollte dringend eins machen, solange man noch in der Lage ist, so viel Zeug mit der Hand zu schreiben. 

Handschrift gibt es schon ganz schön lange. 

Dieser Teeny aus dem in Vulkanasche versunkenen Herkulaneum kratzte seine Gedanken in Wachstäfelchen.

Mittelalterliche Mönche pinselten auf Pergament und gaben sich riesig Mühe, wirklich was draus zu machen.

Die Chinesen nahmen es noch ernster und machten daraus die Kalligraphie der Acht Prinzipien des Schriftzeichens Yǒng – und dieses Wort – ein kleines j, ein großes J und ein drangebastelter K-Winkel, alles von einem Flügelchen überdacht – bedeutet Ewigkeit. Man kann sich also ungefähr vorstellen, wie lange es dauerte, so einen Text zu malen.

Früher hatten die Leute eben, weil es keine zeitsparenden Maschinen gab und weil sie weniger lange lebten als unsereiner, mehr Zeit.

Gelehrte und Geisteswissenschaftler hielten ihre Erkenntnisse oder Lebensweisheiten mit Federkielen fest, die immer wieder in Tinte getunkt werden mussten. Wollte man eine dieser Schriften verbreiten, dann musste sich Irgendwer hinsetzen und sie kopieren – mit Federkiel, in Tinte getunkt.

Trotzdem schrieben die Menschen, sofern sie schreiben konnten, häufig lange, lange Briefe. Sie hatten nun mal kein Telefon. Sie bedeckten jedoch auch in diversen Tagebüchern Seite um Seite, sie führten ihre Geschäftsbücher von Hand geschrieben.

Alle Romane der Menschheit entstanden jahrhundertelang durch diese mühsame Art, obwohl sie anschließend natürlich – dank Gutenberg – gedruckt werden konnten. Und weil in dieser Zeit zwischen den gebildeteren Leuten so viele Briefe gewechselt wurden, bekam der neugierige Leser den Stoff oft in Briefform serviert. Die handelnden Personen – ich scheue das schöne, ernste Wort ‚Protagonist‘ – schrieben sich gegenseitig und trieben die Handlung, jeder aus seiner Sicht, dadurch voran, bevor es den unsichtbaren ‚Erzähler‘ gab. Ich erinnere mich, wie es mich geradezu schmerzlich berührte, wenn ich in solchen Romanen las: „Lieber Freund, ich kopiere dir eben, was sie mir gestern geschrieben hat …‘ und dann folgte ein seitenlanger Text! Ich bekam beim Lesen einen Schreibkrampf.

Noch im letzten Jahrhundert legten Lehrer und Erzieher viel Wert darauf, dass ein Kind es lernte, ’schön‘ zu schreiben. Und zwar bitte mit dem ‚guten‘, dem rechten Händchen. Lehrer, rücksichtsvoll, wie sie sind, achteten darauf, ihrerseits kein charaktervolles eigenes Schriftbild zu entwickeln. Sie blieben im 2.-Klasse-Status, naiv, korrekt und sauber, damit die Kleinen begriffen, was in Kreide an der Tafel stand oder mit roter Tinte unter dem Diktat.

Normalerweise jedoch verändert sich eine Handschrift im Lauf des Lebens und wird persönlich. Graphologen können sagen, wieso. Graphologen sind aber nicht wissenschaftlich erwiesen (waren sie mal; hat sich erledigt) und sollten lieber gar nichts sagen.

Die Kriminialpolizei zeigt jedoch ein gewisses Interesse daran, ob eine Unterschrift oder vielleicht sogar ein ganzes Schriftstück wirklich von Sowieso stammt – und wer bei der anonymen Nachricht seine Handschrift verstellt hat. Dafür brauchen sie keinen Graphologen; das macht der Computer.

Der Löwe versteht ziemlich viel von Handschriften und interessiert sich auch sehr dafür. Bevor wir uns zum ersten Mal begegneten, so um Weihnachten, schickte ich ihm eins meiner Bücher und malte eine persönliche Widmung auf die erste Seite, ihn und mich selbst, dazu vier kleine Worte:

von mir – für dich

Zufällig telefonierten wir gerade, als der Postbote ihm das Päckchen brachte. (Wir telefonierten damals ziemlich oft.) Ich wartete gespannt, bis er es ausgepackt hatte – so, nun musste er das schöne Bild sehen! Was würde er dazu sagen? Und er brüllte ganz begeistert in mein Ohr: „Oh, was hast du für ’ne schöne SCHRIFT!“

Glücksfaktor: Dass die Menschen ganz unterschiedliche Interessen haben …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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