25. Juli 1956: Gar nichts klar auf der Andrea Doria


 

Denn da wurde sie gerammt – und ging am folgenden Tag unter.

Getauft war der Luxusliner auf den Namen eines Seehelden des 15. und 16. Jahrhunderts; bei uns ist Andrea ein weiblicher Vorname, in Italien ist er männlich. Das Schiff war also ein Er. Admiral Doria lebte fast hundert Jahre: für einen Menschen der damaligen Zeit und für die vielen gefährlichen Sachen, die er mitmachte, fast ein Wunder.

Der Kahn existierte vom Stapellauf bis zur Havarie vier Jahre und einen Monat. Nicht lange für ein teures, stabiles Passagierschiff, weder im Krieg noch im Orkan unterwegs.

Seit der Zeit der Wikinger mit ihren Segelbooten über Dampfschiffe bis zu Kreuzern mit Schraube bewegte die Menschheit sich zu anderen Kontinenten nicht nur über das Meer, sondern direkt auf dem Meer. Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts kreuzten große Passagierschiffe von Europa über den Atlantik nach Amerika und wieder zurück.

Ab den 60-er Jahren übernahmen mehr und mehr Flugzeuge den Transport. Die Andrea Doria war das letzte große Passagierschiff, das auf transatlantischer Route sank.

Hier sieht man sie mit Schlagseite einige Stunden nach dem Zusammenstoß, der ihren Untergang verursachen sollte. Die Rettungsboote auf der linken Schiffsseite, also Backbord, hängen alle noch leer und unbenutzt herum, weil sie durch die Schieflage des Liners nicht zu Wasser gelassen werden konnten. In den Booten der rechten Schiffsseite, das ist Steuerbord, konnten sich Menschen retten.

Die Andrea Doria brauchte weder feindliche U-Boote noch in dumpfer Aggression auf Opfer lauernde Eisberge; was sie auf den Meeresgrund brachte, war eine gewisse Dösigkeit und – ich werde nie müde, zu mahnen – mangelnde Kommunikation! Ach, wenn doch die Menschen jeweils rechtzeitig klar und verständlich ihre Ansichten und Absichten äußern würden! Wieviel weniger hätten wir zu trauern, wie sehr würden sich Unfälle, Katastrophen und Dramen jeder Art minimieren! Kommunikation ist Leben und Leben ist Kommunikation, das lehrt uns die Physik. Doch stattdessen faseln die Menschen etwas in der Art: ‚Man muss auch schweigen können‘ und kriegen genau im kritischen Moment die Klappe nicht auf.

Schon gut, ich beruhige mich wieder.

Die Andrea Doria befand sich in der Nacht des achten Tages ihrer Fahrt von Genua auf dem Weg westwärts nach New York unweit der amerikanischen Küste, als sie in eine dichte Nebenbank fuhr und ihre Geschwindigkeit vorsichtshalber ein wenig drosselte.

Gleichzeitig kam ihr in derselben Schifffahrtsstraße die Stockholm, ein etwas kleineres Passagierschiff, entgegen, auf dem Heimweg nach Schweden. Ab irgendeinem Punkt bemerkten sich die beiden Riesendampfer und stellten auch fest, dass sie zusammenknallen könnten, sofern sie nicht den Kurs änderten.

Tauschten sie (denn dieses wunderbare technische Hilfmittel stand ihnen ja zur Verfügung) Funkssprüche aus? Nö. Sie interpretierten herum und sie interpretierten falsch. Wie Leute, die sich in der Fußgängerzone entgegenlaufen und die immer dorthin wechseln, wo der andere gerade steht, bis sie mit hilflosem Lächeln umeinander herumgehen – so wechselten beide Schiffe ein paarmal den Kurs, leider jedes Mal aufeinander zu.

Dann erwies sich, dass die Stockholm das härtere Näschen besaß. Sie fuhr ja häufiger durch – vor dem Klimawandel – Eisschollen und verfügte deshalb über einen stahlverstärkten Bug. Mit dem durchbrach sie mühelos die Steuerbordseite der Andrea Doria, schnitt sich durch drei Kabinendecks und drang in etliche Passagierkabinen ein, in denen die Menschen bereits im Bett lagen. Außerdem riss das schwedische Schiff fünf Treibstofftanks auf, die sich sofort mit 500 Tonnen Meerwasser füllten. Weil die Treibstofftanks auf der anderen Schiffsseite jetzt, zum Ende der Reise, nahezu leer waren, ergab das sofort eine dramatische Schieflage.

Dass es diesmal kein so großes Unglück wurde wie damals beim Untergang der Titanic, lag an der schnellen Hilfe durch andere Schiffe. (Denn nun wurde endlich die Funkverbindung genutzt.) Von 1711 Passagieren und Besatzungsmitgliedern konnten 1660 gerettet werden, 51 starben, Hunderte wurden verletzt. Sogar den Kapitän, der in einem plötzlichen Anfall von Schwermut beschlossen hatte, mit seinem Dampfer unterzugehen (vermutlich sah er die vielen Gerichtsverhandlungen auf sich zukommen), setzten Leute seiner Mannschaft in ein Rettungsboot, ob er wollte oder nicht.

Am nächsten Morgen und nachdem sich kein Leben mehr auf ihr befand, sank die Andrea Doria auf den Meeresgrund, rund 70 Meter tief.

Inzwischen gilt sie als ‚Mount Everest des Tauchsports‘, gefährlich, aber verlockend zu meistern. Seit ihrem Untergang kamen sechzehn Menschen beim Tauchen im Wrack zu Tode, davon fünf zwischen 2006 und 2008. Viele Taucher verirrten sich in den unübersichtlichen Gängen und Decks des großen Schiffes. Zudem jammert Andrea immer noch: Die starke Strömung und die vielen, nach und nach verfallenden und sich lösenden Metallstücke verursachen eine Vielzahl kläglicher und unheimlicher Geräusche unter Wasser.

Und die Stockholm? Die lebt und fährt über den Ozean, noch immer. Tatsächlich ist sie das dienstälteste Transatlantikschiff der Welt. 1946 als Schwedin geboren, heißt sie inzwischen Astoria und kreuzt derzeit im Mittelmeer herum. Sie war allerdings zwischenzeitlich auch mal ein DDR-Boot und trug den schönen Namen Völkerfreundschaft.

Auf dieser Abbildung (2013) war sie gerade Portugiesin und hörte auf Azores. Man kommt herum …

Glücksfaktor: 17 Jahre nach dem Unglück machte ein junger Musiker in Hamburg mit dem Schiff ganz groß Karriere …

 
 

 

 


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