4. Mai 1897, Tod der Sophie in Bayern


Das klingt jetzt vielleicht so, als wäre Sophie in Bayern gestorben.

Ist sie aber nicht. Sondern in Paris. ‚Sophie in Bayern‘ war ihr Geburtsname, eine Adelsbezeichnung. Ihre ältere Schwester Elisabeth, in der Familie Sisi genannt und später Kaiserin von Österreich, hatte auch mal als ‚Prinzessin in Bayern‘ angefangen.

Die Eltern von Elisabeth und Sophie waren zwei starke, attraktive Persönlichkeiten, die sich fünfzig Jahre lang nicht ausstehen konnten – sie heirateten, als beide ungefähr zwanzig waren. Es wird behauptet, dass Ludovika nach ihrer Hochzeit mit diesen Herzog Max in Bayern ihren Brautstrauß mit einem Fluch über ihre Ehe und deren Nachkommen von sich geschleudert hat. Nach der goldenen Hochzeit, in den letzten zehn Jahren miteinander, schlossen sie endlich ein bisschen Frieden.

Falls die Sache mit dem Brautstrauß stimmt, hat Ludovika ihren Kindern keinen guten Dienst  erwiesen. Zehn Stück bekamen sie und dieser Max, acht erreichten das Erwachsenenalter und sahen besonders schmuck aus, mit feingeschnittenen, schönen Gesichtern und wahren Wasserfällen von Haarpracht – wie wir zum Beispiel von ‚Sissi‘ wissen. Aber auf ihnen schien ein Fluch zu ruhen – wie wir auch von ‚Sissi‘ wissen. Eine einzige der Töchter, Helene, heiratete aus Neigung und führte eine wirklich glückliche Ehe. Doch ausgerechnet ihr starb der Gatte nach kaum neun Jahren, selbst erst Mitte 30. Die anderen Kinder zeichneten sich durch unfürstlichen Eigensinn und völlig unkonventionelle Ideen aus.

Sophie war die jüngste der Töchter von Max und Ludovika. Sie verstand sich gut mit ihrem etwas merkwürdigen Verwandten, König Ludwig II. – jedenfalls so lange, bis ihre Mutter sich bei ihm erkundigte, ob er es mit ihrer Tochter eigentlich ernst meinte. Bis dahin hatten Ludwig und Sophie in Ruhe ihre Verehrung für Wagner geteilt und ihre Liebe zur Natur.

Portrait of Louis II, King of Bavaria — Image by © Stefano Bianchetti/Corbis

Nun kam dem König das Entspannte in der Beziehung zu Sophie abhanden. Ihm fiel erstmal keine Antwort auf Ludovikas Frage ein.

Woraufhin die ihrer Tochter verbot, Ludwig wiederzusehen.

Woraufhin Ludwig sich nun aber doch mit ihr verlobte.

In dieser Plötzlichkeit vielleicht auch, weil er sich gerade mit seinem bildhübschen Freund Paul von Thurn und Taxis hoffnungslos verkracht hatte.

Er holte im Januar 1867 die neunzehnjährige Sophie in seine Theaterloge, damit jeder sehen konnte, dass sie seine zukünftige Königin war. Und er ließ sich mit ihr als Braut und Bräutigam fotografieren.

Kaum hatte er das getan, erschrak er offenbar ganz fürchterlich und schob jetzt die Hochzeit immer  weiter in die Zukunft, Monat für Monat.

Woraufhin Herzog Max in Bayern den König in einem höflichen Brief aufforderte, seine Tochter nun endlich mal zu heiraten, bevor sie völlig kompromittiert sei.

Woraufhin Ludwig seiner Verlobten einen höflichen Brief schrieb, mit dem er die Verlobung löste.

Was weder Bräutigam noch Vater der Prinzessin wussten: Sophie war genau drei Tage nach dem Verlöbnis einem Engel begegnet. Da viele Fotografien von der zukünftigen Königin gemacht werden sollten, begab sie sich in das Fotoatelier von Franz Hanfstaengl – und da stand er plötzlich, der Engel. Genauer gesagt handelte es sich um Edgar, den Sohn des Fotografen. 

Sein Anblick muss Sophie aus den Söckchen gehauen haben. Die folgenden Monate ihrer in die Länge gezogenen Verlobung mit König Ludwig verbrachte sie vor allem mit dem Arrangieren unendlich geheimer Treffen (mithilfe zweier ihr ergebener Hofdamen) in verschiedenen Schlössern mit dem schönen Fotografensohn. Einige ihrer leidenschaftlichen Liebesbriefe an ihn sind der Nachwelt erhalten geblieben, weil Edgars pietätlose Tochter dieselben keineswegs ungelesen vernichtete, dem letzten Wunsch ihres Vaters folgend, sondern sie veröffentlichte.

Nach der demütigenden gelösten Verlobung ihrer Tochter gab Ludovika sich alle Mühe, schleunigst einen neuen Heiratskandidaten für das Kind aufzutreiben. Der fand sich im Enkel des letzten französischen Königs, Ferdinand Herzog von Alençon aus dem Hause Orléans. Zwar ein echter Prinz, aber eben leider kein Märchenprinz.

Sophie musste sich von ihrem heimlichen Engel trennen. Im Herbst 1868 wurde in Schloss Possenhofen geheiratet. Ein Fürst, der bei der Trauung zugegen war, erzählte später, das ‚Ja‘ der Prinzessin hätte geklungen wie: ‚Wenn’s sein muss‘.

Ihr Gatte, immerhin, war sehr verliebt in seine hübsche Frau, vor allem bewunderte er ihr reiches, kastanienbraunes Haar.

Achtzehn Jahre später, nachdem Sophie zwei Kinder bekommen hatte und zunehmend unter  schweren ‚Melancholischen Zuständen‘ litt, ertrank ihr ehemaliger Langzeitverlobter, König Ludwig, unter mysteriösen Umständen im Starnberger See, was sie sehr aufwühlte. Ihre Depressionen verstärkten sich bis ins Unerträgliche. Zusätzlich erkrankte sie an Diphterie, ihr fielen die Haare aus, auf die ihr Mann doch so stolz war, es ging ihr jämmerlich schlecht.

Im Winter 1886/87 wurde sie in München von einem Doktor Franz Glaser behandelt, der ihr ganz enorm helfen konnte. Sophie, inzwischen eine ältere Dame um 40, bekam wieder ein lebendiges Gesicht und leuchtende Augen. Sie hatte sich in ihren Arzt verliebt. Sie wollte ihn heiraten. Nachdem sie von ihrem Mann geschieden war, versteht sich.

Das war eine genauso hoffnungslose Geschichte wie die mit dem Fotografensohn, doch ebenso leidenschaftlich und romantisch. Doktor Glaser, ebenfalls verheiratet und Vater dreier Kinder, hegte wirklich auch seinerseits die Absicht, alles stehen und fallen zu lassen und mit Sophie ein neues Leben zu beginnen. Bedauerlicherweise befanden die beiden sich für dieses Vorhaben nicht nur in den verkehrten Lebensumständen, sondern auch im falschen Jahrhundert. 

Sophie wurde vor ein Tribunal von vier Ärzten gezerrt, die nach kurzer Untersuchung übereinstimmend erklärten, die Ärmste sei leider verrückt – die genaue Diagnose lautete: ‚Moralischer Schwachsinn‘. Das erklärte alles zufriedenstellend, man brauchte sich nicht mehr besonders über den drohenden Skandal zu echauffieren und konnte die Frau in eine – damals unverblümt so genannte – Irrenanstalt abschieben.

Das entsprechende Sanatorium gehörte einer weltberühmten Kapazität für Sexualpathologie, Professor Richard von Krafft-Ebing. Der hatte mehr Ahnung von sexuellen Abartigkeiten als jeder andere. (Beispielsweise war er es, der herausfand und veröffentlichte, dass Homosexualität im Grunde kein strafbares Verbrechen sei, sondern eine bei richtiger Behandlung heilbare Nervenkrankheit.) Na, und dass Sophies neueste Affäre was mit Sex und Abartigkeit zu tun haben musste, lag ja wohl auf der Hand.

Sophie bekam fortgesetzt Eisbäder verordnet, die ihre durchgedrehte Libido abkühlen sollten. Nach einem halben Jahr war sie mürbe, abgekühlt genug, resigniert, ohne Hoffnung, ihre Situation ändern zu können. Ihre Briefe an Franz Glaser hatte man abgefangen und vernichtet, ebenso seine Briefe an sie, jeden Kontakt unterbunden.

Sie lebte den kurzen Rest ihres Lebens als stille, apathische Gefährtin ihres Mannes und beschäftigte sich damit, Gutes zu tun, eine gebrochene Frau, vorzeitig gealtert. Sie arbeitete an ihrem Testament, verschenkte ’noch zu Lebzeiten‘ verschiedene Gegenstände und plante ihr Begräbnis, wobei sie betonte, ihr Haar sollte geschoren und verbrannt werden.

Als sie fünfzig war, besuchte sie am 4. Mai einen Wohltätigkeitsbasar in Paris. Dieser Basar, gebaut aus Sperrholz, mit bemalten Pappkulissen und einem Baldachin aus imprägniertem Segeltuch, schien wie geschaffen, um zu verbrennen. Das tat er dann auch:  An einem Kinematographen, der das ganz  neue Wunder sensationell bewegter Bilder zeigte, brach Feuer aus und verbreitete sich sofort, vor allem über das Segeltuch an der Decke, im ganzen Gebäude.

An diesem Nachmittag befanden sich mehr als 1500 Menschen innerhalb des Basars, die nach dem Ausbruch des Feuers zum großen Teil in Panik versuchten, aus den wenigen Ausgängen zu entkommen. Unter den ca. 140 Verbrannten gab es eine ganz überwiegend Anzahl von Frauen und Kinder, vielleicht, weil die fliehenden Herren kräftigere Ellenbogen besaßen. 

Überlebende Augenzeugen berichteten später, die Herzogin habe sich nicht um ihre eigene Flucht gekümmert, sondern nur mit sonderbar ergebenem Gesicht vor allem Kindern aus dem Gebäude geholfen.

Wie viele der anderen Opfer konnte auch Sophie nur noch am Gebiss identifiziert werden. Ihrem Wunsch entsprechend war übrigens ihr Haar, makabererweise, wirklich verbrannt …

Glücksfaktor, unbedingt: Heiraten zu dürfen, wen man will!


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