Am 1. März 1692 begann die Hexenjagd in Salem


Die Ängste und Sorgen der Menschen dieser Zeit drehten sich nicht, wie in unserer Gegenwart, vorrangig um Gesundheit und Überleben des Körpers, sondern um Gesundheit und Überleben der Seele. Angst um ihr Leben spürten die Salemer allerdings trotzdem, denn die Überfälle von Indianern nahmen zu und es gab, durch verschiedene politische Veränderungen, keinen militärischen Schutz mehr für sie. Ungefähr jeder zehnte Siedler starb durch einen Indianerangriff. So was konnte schon etwas nervös machen.

Salem war ein idyllischer kleiner Ort in Neuengland. Hierhin hatten sich die frühen Auswanderer aus der Heimatinsel geflüchtet. Sie waren Puritaner, gute Menschen, bessere als die frivolen, sinnlichen, genusssüchtigen Briten, vor denen sie sich gerettet hatten. Ihre Lehre war pur und schlicht, lehnte alles Weltliche ab und fürchtete überall das Höllenfeuer. Ihr Gott war ein erzürnter Gott, von dem man nicht viel Hilfe erwarten durfte. Weihnachten hatten sie, als heidnisch, per Gesetz verboten, Tanz und Vergnügung jeder Art waren verpönt. Die Kinder durften am Sonntag nichts spielen, weil der Tag zum Beten gedacht war. Auf Bildung wurde hingegen großer Wert gelegt, da jeder in der Lage sein sollte, die Bibel zu lesen. (Eine der angesehensten und ältesten Universitäten der Welt, Harvard, wurde 1636 in dieser Gegend gegründet.)

Am 1. März des Jahres 1692 also verhaftete die Obrigkeit der kleinen Stadt drei Frauen, von denen man glauben durfte, dass sie Böses taten. Und übrigens hatte man das vielleicht schon immer vermutet, denn alle drei waren das Schlimmste, was es in einer verschworenen Gemeinschaft gibt: Außenseiterinnen.

Das war erstens die schwarze Sklavin des Pastors, Tituba, eine relativ junge Frau, obwohl sie auf Bildern gern als alte Hexe dargestellt wird. Zweitens Sarah Good, eine mittellose, gerade hochschwangere Frau um Ende 30, die mit sich selbst zu sprechen pflegte, bettelte und fast immer schlechte Laune zeigte, ihrem Namen zum Trotz. Drittens Sarah Osborne, eine ältere Frau, die seit Langem im Bett lag, statt in die Kirche zu gehen, weil sie angeblich krank war.

Angeklagt wurden die Frauen von zwei kleinen Mädchen, der zwölfjährigen Abigail Williams und ihrer Kusine Betty Parris, neun Jahre alt. Betty war die Tochter des Ortsgeistlichen Parris (hier haben wir

ein Bild von ihm), Abigail seine Nichte, die bei ihm im Haus lebte, weil ihre Eltern von Indianern getötet worden waren.

Seit dem Winter benahmen sich beide Kinder merkwürdig. Sie schienen unter Anfällen zu leiden, in denen sie, mit den Armen rudernd, durch das Haus rannten, versuchten, in den Kamin zu steigen (ohne jemals Harry Potter gelesen zu haben), in unbekannten Sprachen redeten und sehr unpuritanisch mit den Augen rollten. Ein hinzugezogener Arzt gelangte mangels anderer Erkenntnisse – und ohne die Erleuchtung, dass Kinder, die keinen Spaß haben dürfen, vielleicht ab und zu durchdrehen müssen – zu dem Schluss, die beiden wären besessen. Hexerei!

Das kam Vater Parris, der gerade mit der Gemeinde im Clinch lag, die ihm sein Pastorengehalt nicht zahlen wollte, sehr zupass. Er hielt eine lange, machtvolle Predigt zu dem Thema, dass die Stadt von Teufeln heimgesucht wurde. 

Es ist eine sonderbare Regel, dass häufig das Bekämpfte und Gefürchtete ganz über Gebühr gedeiht. Die Einwohner von Salem beschäftigten sich eingehend damit, das Böse abzuwehren und um jeden Preis rein zu bleiben. Das bekam dem Bösen prächtig.

Tituba, weniger ehrlich als klug, gab alles zu. Klar, sie hätte mit den Mädchen schwarze Magie betrieben und es täte ihr furchtbar leid. Richtig schuld war sie nicht, weil dazu verführt worden. Natürlich, von den beiden anderen Hexen und noch vielen, vielen anderen. Die brauchte sie gar nicht zu nennen, das taten die Kinder – inzwischen noch weitere Mädchen.

Hier ist die Illustration von jemand, der es sich gut vorstellen konnte: Die böse Tituba, alt und hässlich, die Kinder ganz richtig mit kurzgeschorenem Haar unter den Häubchen. Das mussten sie wirklich so tragen, um bloß keine Eitelkeit in ihnen zu züchten.

Für Tituba zahlte ein Unbekannter die Gefängnisgebühr und nahm sie mit – da hatte sie einen neuen Herrn und überlebte jedenfalls die gefährliche Anklage.

Die anderen beiden Frauen leugneten ihre Missetaten, und das machte gar keinen guten Eindruck. Sarah Good wurde, nachdem sie ihr Baby bekommen hatte, gehängt, ihr kleines Mädchen überlebte nur wenige Tage. (Es ist anzunehmen, dass sich keiner so recht um die Teufelsbrut kümmern mochte.) Sarah Osborne starb in der Haft von selbst, eventuell durch die energische Befragung.

Inzwischen gab es jedoch noch viel mehr Angeklagte! Zwei Familien, die sich sowieso nie richtig grün gewesen waren, eliminierten sich durch gegenseitige Anschuldigungen bis auf den Rest. Innerhalb einiger Monate weitete sich das Böse auch auf viele Nachbargemeinden aus. 150 Verdächtige kamen ins Gefängnis, weitere 200 wurden beschuldigt, dem Teufel zu dienen. 55 Männer und Frauen brachte man unter der Folter zu (Falsch-)Aussagen. 20 wurden hingerichtet. Abigail, Betty und ihre kleinen Freundinnen verfielen vor Gericht immer noch gern in Krämpfe und verrieten weitere Hexer*Innen.

Das Prinzip war simpel. Wer ehrlich genug war, die begangene Hexerei zuzugeben und wer außerdem noch weitere Teufelsanbeter nannte, der blieb am Leben. Wer leugnete, mit diesem Blödsinn etwas zu tun zu haben, der wurde nach ausgiebiger Quälerei hingerichtet. Meistens übrigens gehängt.

Einen Sonderfall stellte die völlige Verstocktheit des achtzigjährigen Landwirts Giles Corey dar. Ebenfalls angeklagt, fand er die Sache offenbar derart dämlich, dass er sich von Anfang an weigerte, überhaupt auszusagen. Weder schuldig noch nichtschuldig – er hielt seinen Mund geschlossen. Daraufhin wurde der störrische alte Herr hingerichtet, indem man ihm eine Tür auf den Leib legte und solange Felsbrocken darauf häufte, bis er zerquetscht war. Das hatte er von seiner Wahrheitsliebe.

Weil alle so mit Verdächtigen, Prozesse- und Hinrichtungen-Beobachten, Verdacht-von-sich-selbst-abwenden und Drübernachdenken, wer eigentlich noch Hexe sein könnte, beschäftigt waren, ging es rundherum in der Landwirtschaft drunter und drüber. Tiere wurden vernachlässigt, Ernten nicht rechtzeitig eingebracht, Mühlen und Sägemühlen standen still. Einige ängstliche Persönlichkeiten packten still des nachts ihre Sachen und waren am Morgen verschwunden, bevor sie angeklagt werden konnten. Der Handel in der Gegend kam beinah zum Erliegen.

Im Herbst 1692 wurden die letzten acht Opfer aufgehängt, darunter die uralte Frau dés totgequetschten Giles Corey.

Dann traf ein Geistlicher aus Boston in Salem ein, Increase Mather, der erklärte, es sei wünschenswerter, zehn verdächtige Hexen entkommen zu lassen als einen Unschuldigen zu hängen. Durch diese erstaunliche Ansicht erfolgten im Winter nur noch einige lustlose Prozesse, die nicht viel erbrachten. Vielleicht war das Böse auch satt. Im Frühling 1694 wurden die letzten Gefangenen freigelassen.

Diese schöne Vorlage wurde inzwischen für viele literarische Werke und Filme genutzt. Arthur Miller schrieb sein Theaterstück ‚Hexenjagd‘, meinte jedoch eigentlich die Verfolgung von Kommunisten oder vermeintlichen solchen im Amerika der 50er-Jahre. Er sagte dazu: „Die Salemer errichteten für hohe Ziele eine Theokratie, eine Kombination von staatlicher und religiöser Macht, deren Funktion es war, die Gemeinschaft zusammenzuhalten und jegliche Uneinigkeit zu verhindern.“

Glücksfaktor: Einigkeit um jeden Preis. Der Teufel möge uns vor Andersdenkenden behüten!

 

 

 

 

 


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