Bernadette war 14 Jahre alt, eine kleine, zarte Gestalt mit einem ebenmäßigen Gesicht, die bisher im Leben nicht besonders viel Glück gehabt hatte. Und, um das gleich hinzuzufügen: die Erscheinung in der Grotte machte sie auch nicht übertrieben glücklicher.
Sie war die älteste Tochter eines Tagelöhners und einer Wäscherin aus Lourdes, beide Eltern alkoholkrank. Als Bernadette noch ein Baby war, verbrannte sich ihre Mutter die Brüste und konnte sie nicht mehr stillen, weshalb das Kind in einen Nachbarort gebracht wurde, wo einer Frau gerade der Säugling gestorben war. Dort blieb sie mehr als zwei Jahre und kam dann zu den Eltern zurück, bereits asthmakrank, ein ewig hustendes, nach Luft ringendes Würmchen. Als sie elf war, bekam sie die Cholera, die sie knapp überlebte.
Zum Zeitpunkt ihrer ‚Marienerscheinung‘ sah das Mädchen aus wie eine Zehnjährige, unterentwickelt, kaum 140 Zentimeter hoch. Im Haus herrschte wirkliche Armut, die Familie war auf elf Personen angewachsen (obwohl einige der Kinder früh starben) und wusste nicht mehr, wohin. Ein Verwandter vermittelte ihnen das Wohnen in einem ehemaligen Gefängnis, das leerstand. Vorübergehend geriet Vater Soubirous in den richtigen Knast, weil er angeblich Mehl geklaut haben sollte.
Bernadette wurde, zwölfjährig, für ein Jahr zu einer Tante abgeschoben, in deren Schankwirtschaft sie gegen Kost-und-Logis schuften musste und regelmäßig Schläge bekam. Als ihre Mutter ein blaues Auge an der Tochter bemerkte, durfte das Kind nach Hause zurück und machte sich, so gut es bei ihrer schwächlichen Gesundheit und Körperkraft möglich war, im Haushalt nützlich. Natürlich erhielt sie keine Schulbildung, so was kostete viel zu viel Geld.
Ungefähr einen Monat nach ihrem 14. Geburstag, an einem kalten Donnerstag im Februar, vormittags um elf, ging Bernadette gemeinsam mit einer Schwester und einer Freundin zur Grotte von Massabielle, um dort Holz zu sammeln. Die Grotte, inzwischen ein ungemein heiliger Ort, wurde damals häufig benutzt, um windgeschützt Müll zu verbrennen. Außerdem bargen sich gern Schweinehirten in der Felsennische. Was bedeutet, hier roch es nicht nach Rosen.
Bernadette hörte ein Geräusch, das sie irritierte, blickte sich vergeblich um und schließlich nach oben. Dort entdeckte sie ein weibliches Wesen in einem weißen Kleid mit blauem Gürtel. Vielleicht, weil ihr die Sache nicht geheuer war (wie kam ein menschliches Geschöpf dort hinauf und was sollte es da?) griff sich Bernadette schleunigst ihren Rosenkranz und begann zu beten. Die Figur oben im Felsen holte beruhigenderweise ebenfalls einen Rosenkranz hervor und ließ die Perlen durch die Finger gleiten, ohne jedoch die Lippen zu bewegen. Als beide mit dem Rosenkranz fertig waren, verschwand die Erscheinung.
Es sieht nicht so aus, als hätte das Kind sich bis dahin durch eine besonders farbige Phantasie ausgezeichnet oder etwa gern im Mittelpunkt gestanden. Sie war still, bescheiden und demütig, dankbar, wenn sie etwas zu Essen und keine Prügel bekam. Vielleicht hätte sie die Erscheinungen (im ganzen 18 in einem halben Jahr) für sich behalten, doch die ‚Dame‘ machte ihr mehr und mehr Dampf, den Priestern zu melden, dass hier an dieser Stelle gefälligst eine Kapelle gebaut werden sollte. Außerdem forderte sie das Mädchen auf, aus ‚der Quelle‘ zu trinken und sich darin zu waschen.
Da war bloß keine.
Nachdem Bernadette allerdings ein bisschen auf dem Boden kratzte, sprudelte sie hervor: klares Wasser. Sie sprudelt bis heute – ungefähr 30 Liter pro Minute, etwa 12° kühl – recht kalkhaltig, wenig mineralisiert. Übrigens inzwischen gechlort … Na ja, weil es ungünstig wäre, wenn all die Heilung-von-Körper-und-Seele Suchenden sich Bakterien holen würden. Die Wissenschaft hat übrigens schlüssig bewiesen, dass dieses Wasser keinerlei Heilkraft besitzt.
Anfangs war ja auch die Priesterschaft mehr als skeptisch. Bernadette sollte die Erscheinung fragen, wie denn eigentlich ihr Name sei. Die Antwort lautete: Ich bin die Unbefleckte Empfängnis. Das kam dem Ortsgeistlichen insofern glaubhaft vor, als er der ungebildeten kleinen Soubirous nicht zutraute, diesen erst kürzlich vom Papst für Maria gefundenen Begriff zu kennen.
Nun folgten die ersten wunderbaren Heilungen. (Inzwischen 7000 angemeldete, davon 68 von der Kirche als Wunder anerkannt.) Eine Ortszeitung schrieb, ganz aufgeklärt, etwas über die ‚hysterische Lügnerin‘. Bernadette wurde angegafft – und angefeindet. Wenn sie sich nicht zeigte, nahm man ihr das übel. Wenn sie sich zeigte erst recht.
Schnell entwickelte sich der Bezirk um die Grotte zu einem der bedeutesten Wallfahrtsorte Europas. Der sogenannte ‚Pilgertourismus‘ hat Kilometer rundherum alles mit Hotels und anderen Herbergen getüpfelt, durchsetzt von ca. 200 Andenkenläden. Ja, natürlich gibt es auch Kirchen, gleich mehrere. Zwischen fünf und sechs Millionen Pilger (die meistens keineswegs pilgern, sondern in jeder Art von Verkehrsmittel ankommen) zählt die Gemeinde pro Jahr und erreicht damit den zweitgrößten Besucherstatus nach Paris. Ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor.
Und Bernadette? Sechs Jahre nach ihren Erscheinungen trat sie in einen Orden ein und wurde Nonne. Ihre Oberin, Marie-Thérèse Vauzou (im Foto unten), konnte das Mädchen indessen nicht leiden.
Es ist fraglich, ob Bernadette auch hier geschlagen wurde. Fest steht, dass man sie gedemütigt hat. Sie starb 1879 mit 35 Jahren an Knochentuberkulose und ihre Oberin widersetzte sich nach Kräften einer Heiligsprechung und behauptete, Bernadette sei zwar schön und charismatisch gewesen, doch eitel und dumm. Mutter Marie-Thérèse bat darum, man möge mit der Kanonisierung zumindest warten, bis sie selbst nicht mehr lebte.
Verhindern konnte sie es trotzdem nicht. Bernadette Soubirous wurde 1925 selig- und 1933 heiliggesprochen.
Glücksfaktor: Gönnen können …