An diesem Tag starb nämlich sein Vater, Wilhelm II., im Alter von 40 Jahren an der Syphilis. Dieselbe Krankheit hatte bereits dessen älteren Bruder, Landgraf Wilhelm I., hingerafft. (Entweder besaß ihr Vater nicht sehr viel Fantasie, oder er verspürte eine nicht zu bändigende Vorliebe für den Namen Wilhelm. Ein Indiz dafür könnte sein, dass er mit seiner Mätresse zwei weitere Wilhelme zeugte … )
Wilhelm II. also hatte thestamentarisch verfügt, dass sein Söhnchen (kein Wilhelm, sondern ein Philipp) ihm auf den Landgrafenthron folgen sollte, unterstützt von seiner Mutter, Witwe Anna. Das war eine schöne Idee, und mit dieser Anordnung konnte der zweite Wilhelm beruhigt sterben. Leider ließ sich das Ganze nicht so leicht realisieren, wie er gehofft hatte. Hessen war ein leckerer Brocken, nach dem es andere Herren gelüstete. Anna musste wie verrückt um die Regentschaft kämpfen und erreichte dieselbe erst achteinhalb Jahre später. Da war der kleine Philipp bereits 13. Ein Jahr später erschien er auf dem Wormser Reichstag mit über 400 ‚Gewappneten‘, also einer gehörigen Streitkkraft, jeder Zoll ein selbstbewusster Landgraf. Kurz darauf schickte er seine Mutter, die sich wieder verheiratet hatte, vom Hofe; er brauchte keine Regentin mehr, er konnte das alleine.
Der Job war keineswegs mit der linken Hand zu erledigen und Philipp machte ihn offenbar so clever und umsichtig wie nur möglich – in einer wildbewegten Zeit, der Renaissance. Überall stauten sich Unruhen und Wirrnis, Vorboten des 30jährigen Krieges. Der junge Mann, später mit dem anerkennenden Titel ‚Der Großmütige`geschmückt, wurde zum Vorkämpfer der Reformation, verstand sich bestens mit Martin Luther, Ulrich Zwingli und Philipp Melanchthon und setzte sich für deren Belange am Reichstag zu Speyer ein.
Dieses gute Einvernehmen mit den Reformatoren kam ein ganz kleines bisschen ins Wackeln, als Philipp der Großmütige etwas zu großmütig mit dem Sakrament der Ehe umging.
Er hatte 1523 mit 19 Jahren die liebreizende Christina von Sachsen geheiratet, ein Jahr jünger als er.
Siebzehn Jahre später jedoch und nach der Geburt von sieben Kindern, (sauber aufgeteilt in Jungen und Mädchen), von denen immerhin sechs groß und stark wurden, erklärte der Landgraf plötzlich, er habe ’nie Liebe noch Brünstigkeit für seine Gattin empfunden, obwohl sie ja fromm sei – jedoch ansonsten unfreundlich, hässlich und übelriechend‘ …
Na ja, vor allem war Christina eben nicht mehr ganz neu.
Wie sich jeder denken kann, war eine andere Frau in Philipps Leben aufgetaucht, die eben siebzehnjährige Margarethe von der Saale. Nicht nur ein kleines Nebenbei-Techtelmechtel, sondern ein ganz, ganz wichtiger Mensch in seinem Leben.
Und nun? Da Christina nicht so nett war, tot umzufallen und Philipp zum Witwer zu machen, konnte er, (da er es ja offenbar toternst meinte und Margarethe keineswegs zur Mätresse erniedrigen wollte), sich entweder scheiden lassen oder Bigamist werden. Er unterbreitete den Fall seinem guten Bekannten Luther. Der entschied, von den zwei Übeln sei Scheidung das Schlimmere. Philipp möge also lieber, wenn’s denn sein müsse, auch noch Margarethe heiraten.
Übrigens hatten beide Herren einen Präzedenzfall zur Hand. Es handelte sich da um die Sage des Grafen von Gleichen, ungefähr dreihundert Jahre früher. Den hatte, als er nach einem Kreuzzug von einem Sultan versklavt wurde, dessen schöne Tochter (in den ‚Volksmärchen der Deutschen‘ heißt sie Melechsala) befreit und war mit ihm zusammen geflohen.
Der damalige Papst in Rom taufte die Muslima nicht nur zur ordentlichen Christin, er erteilte auch die Erlaubnis, dass der verheiratete Graf sie noch dazuheiraten durfte. Beweise: Einige mittelalterliche Dreierbetten sowie eine Grabplatte im Dom zu Erfurt, die beide Ehefrauen mit dem Grafen von Gleichem in der Mitte zeigt.
Philipp der Großmütige heiratete also die kleine Margarethe, von der wir hoffen wollen, dass sie wohlriechend war. Melanchton nahm auch an der Hochzeit teil, was unklug von ihm war, denn dadurch erregte das Ganze zuviel Aufmerksamkeit. Vor allem warf es einen dunklen Schatten auf die Reformation. Bigamie galt als Straftat, und zwar eine, auf die Todesstrafe stand. Philipp hatte eine ganze Weile heftig zu rudern und alle möglichen Leute, darunter Kaiser Karl V., zu beruhigen, zu versöhnen und ihnen haufenweise Gefallen zu tun.
Die Landgräfin übrigens stellte sich wegen dieser neuen Ehe ihres Gatten nicht besonders an, nachdem ihren eigenen Kindern ausdrücklich Vorzugsrechte eingeräumt wurden. Zwar teilte sie wohl bestimmt kein Dreierbett mit ihrem Gemahl und seiner Zweitfrau Margarethe (die wurde in einem Extra-Schloss untergebracht). Doch Christina bekam in aller Ruhe mit Philipp noch drei weitere Kinder – insgesamt also neun Nachkommen. Zusammen mit den ebenfalls neun Kindern der Margarethe gab das achtzehn Söhne und Töchter. Was mich unwillkürlich an die Trapp-Familie erinnert. Falls die Grafensprösslinge alle Singstimmen gehabt hätten – was wäre das für ein Chor geworden!
Glücksfaktor, vermutlich: unsere heutiger Großmut gegenüber jeder Art von Familienzusammenstellung, Patchwork- Regenbogen- oder Singlehaushalte. Auf nichts steht mehr die Todesstrafe …