Am 14. März feiern wir den internationalen ‚Stell-eine-Frage-Tag‘


Ausgerechnet dieser Tag, heißt es, wurde dazu ausersehen, weil es sich hier um den Geburtstag von Albert Einstein handelt. Und der hat ja wohl auf jeden Fall viele Fragen gestellt, zumindest sich selbst, und gilt als Inbegriff des Genies. Happy Birthday, Albert!

Stell-eine-Frage-Tag also. Sollte man denn – oder lieber nicht?

Mir ist des öfteren vorgeworfen worden, ich frage zu viel.

Ich gebe zu, dass ich dazu neige. Meine Eltern haben mir, fürchte ich, zu selten (eigentlich nie) geraten, nicht so viel zu fragen. Im Gegenteil, sie haben mich dazu ermutigt. Fragen war bei uns zuhause erwünscht und galt als Zeichen von Wachheit und Intelligenz. Sofern mein Vater und meine Mutter antworten konnten, kramten sie treuherzig in ihrem Wissen herum. Wo das versagte – Internet, das alles weiß, stand ja noch nicht zur Verfügung – holten sie den Großen Brockhaus in 22 Bänden vom Regal. Nie, kein einziges Mal, bekam ich als Kind zu hören: „Das verstehst du noch nicht!“ oder „Frag mir doch keine Löcher in den Bauch“ oder ähnliches, das anderen Kindern offenbar häufig zugeworfen wurde.

Einige meiner Lehrer brachte ich bestimmt zur Verzweiflung, indem ich Informationen verlangte, die weder vorgesehen noch gespeichert waren. Ich wollte das Warum wissen, das Dahinter. Das lässt sich nicht immer beantworten.

Meine Eltern waren vergleichweise alt, recht belesen, selbst immer noch wissensdurstig. Sie schätzten Gespräche und betrachteten mich als gleichwertigen Gesprächspartner. Sie ’sprangen‘ keineswegs mit mir ‚herum‘ im Sinne von sportlichem Übermut, wie es jüngere Eltern tun (und was als wünschenswert für ein gedeihendes Kind gilt). Zu allem Übel hatte ich auch überhaupt keine Lust zum Herumspringen. Ich las lieber oder unterhielt mich – oder stellte Fragen.

Als Ergebnis wurde ich altklug und unsympathisch frühreif. Sowas wächst sich glücklicherweise aus, irgendwann entspricht man äußerlich dem Benehmen, das früher Anstoß erregte. Fragen blieb mir ein Grundbedürfnis. Als sehr günstig erwies sich, dass es naturgemäß zu meinem Beruf gehörte. Ein Journalist hat zu fragen, damit er weiß und in der Lage ist, Wissen weiterzugeben.

Ich kann praktisch keinen Film sehen oder kein Buch lesen, ohne mich hinterher in den Computer zu bohren und mir alle Antworten zu suchen: Was für ein Mensch ist der Regisseur oder der Autor? Wieweit beruht das Gesehene oder Gelesene auf Tatsachen? Was ist das für eine Krankheit, an der die Tante des Helden stirbt? Welches Sternzeichen hat die Hauptdarstellerin? Ja, ich erlaube mir auch dumme Fragen.

Nicht wenige Leute werden ungern befragt. Sie scheinen es als einen Eingriff in ihr Gehirn, ihr Gemüt oder ihr Privatleben zu betrachten, bekommen verbissene Gesichter und einen pampigen Ton: „Das weiß man doch!“ oder „Das sieht man doch!“ – häufig sogar, wenn es sich um völlig unschuldige Fragen handelt wie etwa: „Warst du schon mal in Schottland?“ oder „Gehört dir das Toupet, das da drüben liegt?“

Vielleicht empfinden die ‚Ich-möchte-nicht-befragt-werden‘-Menschen es aber auch als Agression, wenn man ihnen einen Satz hinschleudert, der von einem Fragezeichen gekrönt ist, weil sie meinen, sie müssen nun antworten. Müssen sie gar nicht, das ist kein Gesetz. Sie dürfen genausogut mysteriös lächeln und schweigen, das Thema brutal herumreißen („Gefällt dir der Typ dort mit dem Vollbart?“ Antwort: „Gestern gab es einen grauenhaften ‚Tatort‘. Die werden immer schlechter!“) oder mit einer Gegenfrage parieren (Ist deine Schwester älter oder jünger als du?“ Antwort: „Woher kennst du überhaupt meine Schwester?“)

Der Ritter Parzival hat mit dem Thema eine Menge Ärger gehabt. Als sehr junger Mann gehört er zu diesen Menschen, die andere fortgesetzt löchern müssen, bis der Edelmann Gurnemanz ihm ernsthaft empfiehlt, bloß nicht dauernd Fragen zu stellen, das würde einen selten dusseligen Eindruck machen. Als der junge Ritter dann zur Gralsburg kommt und dort mit einer Reihe höchst seltsamer Vorgänge konfrontiert wird – einschließlich eines offenbar totkranken Königs – verkneift er sich jede eigentlich naheliegende Erkundigung und steht bloß still herum. Ganz fatal: Das wird als Herzenskälte und mangelnde Anteilnahme gedeutet. Noch dazu, erfährt er jetzt, hätte er den kranken König durch eine Frage erlösen können, wäre zu Macht und Einfluss gekommen und so weiter – also sechs Richtige. Da er jedoch fraglos dastand, hat er alles versaut und wird erstmal verflucht.

Jetzt folgt eine jahrelange Queste. (Queste bedeutet vom Wortursprung her eigentlich auch Frage, steht jedoch in der mittelalterlichen Dichtung für eine eine Heldenreise, in der Wissen und innere Reife errungen werden.) Schließlich erhält Parzival ein weiteres Mal die Chance, auf der Gralsburg dem armen König zu begegnen, der nicht leben und nicht sterben kann, und ihm endlich die erlösende Frage zu stellen: „Väterchen, was fehlt euch?“ 

Zack, ganz großes Happy-End, Parzival wird seinerseits Gralsritter.

Und wie geht es weiter? Die Frage nach dem Fragen bleibt Familienproblem. Parzivals Sohn Lohengrin arbeitet als Gralshüter und muss immer da anrücken, wo es klemmt (in einem lütten Kahn in voller Rüstung, von einem kräftigen Schwan gezogen), als eine Art mittelalterliches THW. So steht er der bedrängten Prinzessin Elsa von Brabant bei, die einen Kämpfer für ein ‚Gottesurteil‘ benötigt, verdrischt ihren Widersacher und heiratet die beglückte Maid – allerdings unter der Auflage, dass sie nie fragen darf, woher er eigentlich stammt. (Woke Personen haben für so was Verständnis.) Das singt er lang und breit, nie soll sie ihn befragen. Gut, sagt sie, lass ich bleiben. 

Wie sich jeder denken kann, findet sich nach einer Weile eine Freundin, die Elsa so lange mit der zweifelhaften Herkunft ihres Gatten zwiebelt, bis dieser der Mund aufplatzt und sie – auch noch öffentlich! – dann jetzt doch mal bitte wissen will, wo Lohengrin eigentlich herkommt. Kaum hat sie das Fragezeichen ausgesprochen, taucht bereits das Schwanen-Wassertaxi am Horizont auf. Nun erfährt sie zwar noch, wie sie die ganze Zeit geheißen hätte, doch damit ist sie auch schon wieder Single.

Also soll man – oder soll man nicht? Vermutlich ist es jeweils eine Sache des Bauchgefühls.

Wenn Fragen enden, las ich, stirbt das Wissen.

Glücksfaktor: Also ich frag ja gerne …


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