Am 14. September 1486 kam der große Agrippa von Nettesheim in Köln zur Welt


Dieser Mann hat polarisiert! Und das tut er noch – bis heute hat er Verehrer und Verächter.

Wenn die einen sagen, er sei ein Universalgelehrter oder sogar Genie gewesen, dann behaupten die anderen, es habe sich bei ihm um einen wankelmütigen Blender wenn nicht sogar Scharlatan gehandelt.

Was mich angeht, ich liebe ihn, seit ich vor Jahrzehnten für eine Serie des Magazins STERN alles über Hexen zusammensuchte. Die Serie kam nie in Druck, aber die Recherche samt verschiedener Flüge und Übernachtungen wurde großzügig bezahlt. Das ist dreiundvierzig Jahre her. (Ich kann es deshalb so genau datieren, weil ich damals schwanger war.)

Im Zuge dieser Recherche stieß ich in einem stockfleckigen, frakturgedruckten Buch auf seitenlange Prozessakten in sehr altem Deutsch, nach denen Nettesheim 1519 in Metz eine der Hexerei bezichtigte Frau gegen einen Ankläger der Inquisition verteidigte. Das machte er so raffiniert, so gewitzt, so geschmeidig, dass ich mich auf der Stelle in seinen brillanten Jungfrau-Verstand verknallte.

Ein schlauer Fuchs, ein listenreicher Odysseus, der die finstersten Argumente der Anklage benutzte, indem er sie, kurz überarbeitet und zurechtgefeilt, zurückschoss. Die Frau wurde freigesprochen und damit hatte keiner gerechnet (weshalb man übrigens Agrippa, zwar Doktor Juris, aber damals Stadtarzt, überhaupt zur Verteidigung herangezogen haben dürfte). Wer das Pech hatte, vor das Inquisitionsgericht zu kommen, der war normalerweise verloren, ein Freispruch völlig unüblich.

Gedankt wurde es Agrippa nicht – außer wahrscheinlich von der ‚Hexe‘. Auf der Stelle fiel der redegewandte junge Mann bei der Metzer Geistlichkeit, Obrigkeit und seinen abergläubischen Mitbürgern in Ungnade. Es hieß „Wer gegen die Inquisition gewinnt, kann nur ein Teufelsbündler sein“ und diese Anschuldigung blieb lebenslang an ihm hängen.

Der gute Goethe (ebenfalls in der Jungfrau geboren) hat sich diesen Heinrich später, zumindest anteilig, als Vorbild für seinen ‚Faust‘ genommen. Beispielsweise besaß Nettesheim, das ist verbürgt, einen schwarzen Hund, den er ‚Monsieur‘ rief. Aha! Im schwarzen Köter steckte natürlich der Teufel und der raffinierte, undurchsichtige Mann musste ihn ‚mein Herr‘ nennen.

 

Eigentlich hieß er Heinrich Cornelius, Sproß einer verarmten Kölner Adelsfamilie. Mit vierzehn Jahren begann er an der Universität zu Köln sein Studium und eignete sich Theologie, Philosophie, Jura, Medizin, Römisches Recht, Latein, Geometrie, Optik, Chemie, Mineralogie und Mechanik an. Vier Jahre später zog er nach Paris, um sein durstiges Hirn dort weiter mit Wissen anzufüllen.

Er beherrschte später acht Sprachen, sechs davon fließend, weshalb ihn Kaiser Maximilian I. verschiedentlich als Unterhändler (und vielleicht auch als Spion) nach England an den Hof Henrys VIII. schickte. So wie Agrippa sich überhaupt bemühte, seine verschiedenen Fähigkeiten und Fertigkeiten auf unterschiedlichste Art in dieser verzweifelt interessanten Zeit zum Überleben zu nutzen – mal von einem Papst wegen seiner ketzerischen Thesen exkommuniziert, später von einem anderen wieder in den Schoß der Kirche aufgenommen.

Mit seinem klaren Verstand muss sich der große Agrippa in dieser dumpfen Zeit recht einsam gefühlt haben. Er hegte die – für seine Mitmenschen – absonderlichsten Ideen, beispielsweise, dass Frauen für mehr als zum Kinderkriegen taugten: „Und wenn es nicht durch die Gewohnheit den Weibern verboten wäre zu studieren, so würden wir zu unserer Zeit derer noch mehr gelehrte Frauen zu sehen bekommen als unter den gelehrtesten Männern“, sagte er und schrieb auch gleich ein ganzes Buch ‚zum Lob des weiblichen Geschlechts‘, in dem er historische Leistungen von Frauen aufzählte und die Ansicht äußerte, Frauen wären von Natur aus unbestechlich, weshalb die Korruptionskultur in Kirche und Staat durchaus männliches Terrain sei. Darüber hinaus müsse Eva, als Schlusspunkt der Schöpfung, des edelste aller Wesen sein. Sie wäre aus Adams Rippe entstanden, also aus beseeltem Material – er nur aus Lehm.

Damit konnte man sich Mitte des 16. Jahrhunderts kaum beliebt machen, denn die des Lesens Kundigen – waren nunmal Männer.

Zwei Ehefrauen starben Agrippa von Nettesheim. Die erste ließ ihn mit einem vierjährigen Söhnchen allein, die zweite schenkte ihm sechs weitere Kinder, bevor sie, als das letzte Kind ein halbes Jahr alt war, 1529 in Antwerpen an der Pest starb. Der Witwer ließ seine sieben Kinder aus der Stadt in Sicherheit bringen, blieb jedoch seinerseits dort und setzte seine medizinischen Fähigkeiten ein, um den Seuchenkranken in der Stadt zu helfen. Als er 44 war heiratete er zum dritten Mal: Er schätzte nun mal die Frauen sehr und war ungern ohne weibliche Begleitung.

Sein ungebundener Geist, sein Mut (den viele Frechheit nannten) hat ihm viel Ärger bereitet. Um ihn eine Weile ruhig zu stellen, landete er – unter einem Vorwand! – für Monate im Schuldturm, während man öffentlich seine Bücher verbrannte. Es wurde gefährlicher und seine Feinde stärker.

Da holte ihn ein päpstlicher Kardinal aus dem Gefängnis und ließ ihn auf einem ruhigen Landsitz bei Köln pflegen – denn die Haft hatte seiner Gesundheit nicht gut getan. Die plötzlich Sorge des Papstes entsprang dem Wunsch, Agrippa noch einmal nach London zu schicken. Er sollte dort seine Wortgewandtheit gegen den aufmüpfigen Henry einsetzen, der gerade dabei war, sich ganz von der Kirche zu lösen, um seine Frau loszuwerden und ein anderes Weibsbild zu heiraten.

Agrippa lehnte den Auftrag jedoch ab. Vielleicht war er der Ansicht, das sei allein die Sache des englischen Königs. Vielleicht war er einfach müde. Er starb wenig später, 48 Jahre alt.

Glücksfaktor, wenn auch risikoreich: Ein wacher Verstand

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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