Am 15. Juni 1952 starb Sture Lindgren im Alter von 53 Jahren


und ließ seine Frau Astrid als erst 46-jährige Witwe zurück, gerade in Begriff, sehr berühmt zu sein, wenn auch noch nicht derart weltberühmt, wie sie einmal werden sollte.

Bei Sture hatte es sich um die zweite Liebe ihres Lebens gehandelt, und offenbar kam danach nichts mehr, keine Art der Partnerschaft mit einem Mann.   

Als sie 16 war und eben aus der Schule, arbeitete sie als Volontärin bei einer kleinen Lokalzeitung in ihrer schwedischen Heimat. Der Chefredakteur war ungefähr dreißig Jahre älter als sie, groß, brünett, attraktiv und verheiratet.

Als Astrid schwanger wurde, stellte das aus jeder nur denkbaren Perspektive eine Katastrophe dar. Ihre Mutter fürchtete den Zorn des Pfarrers und aller Gemeindemitglieder, ihr Geliebter fürchtete, wegen Unzucht mit einer abhängigen Minderjährigen im Knast zu landen – daran arbeitete seine noch-nicht-ganz-Geschiedene voller Eifer.

Astrid bekam mit 18 Jahren ihren Sohn Lasse in Dänemark, um allen Nachforschungen zu entgehen. Sie ließ ihn dort auch, unter Seelenqualen, bis er drei Jahre alt war und die Pflegemutter zu krank, um sich noch um den Kleinen zu kümmern. Inzwischen war ihr Exboss mit einer Geldstrafe davongekommen, geschieden und willens, Astrid zu heiraten. Aber inzwischen waren ihr die ganz großen Gefühle für ihn abhanden gekommen.

Sie schlug sich mit ihrem kleinen Jungen, der sich erst mal an die neue Mama gewöhnen musste und der zudem mit einer schweren Keuchhusteninfektion kämpfte, allein in Stockholm durch, obwohl sie als Sekretärin in einem Automobilclub ein ziemlich mageres Gehalt bekam.

Astrids Vorgesetzter in der Firma war fast genau elf Jahre älter als sie, groß, blond, attraktiv und verheiratet.

Das war Sture Lindgren. Er ließ sich scheiden, heiratete Astrid und adoptierte ihren Sohn. Sie bekamen drei Jahre nach der Hochzeit eine Tochter, Karin, und lebten schließlich in einer geräumigen 4-Zimmer-Wohnung in Stockholm in der Dalagatan 46 im ersten Stock. In dieser Wohnung blieb Astrid Lindgren für den Rest ihres langen Lebens. (Und ich habe sie dort, meinerseits durch verschiedene Umstände leider gerade stockbesoffen, in den 70er-Jahren interviewt. Aber das ist eine andere Geschichte.)

Da wir gerade von Alkohol reden: Sture Lindgren hatte in dieser Beziehung ein kleines Problem und es ist anzunehmen, dass sein Eheleben dadurch auch etwas beeinträchtigt wurde. Darüber hinaus steht immer dann, wenn man einen Menschen aus einer bestehenden Partnerschaft gelöst hat, die Gefahr im Raum, dass derjenige ein weiteres Mal untreu wird.

Dreizehn Jahre nach ihrer Eheschließung verliebte sich Astrid Lindgrens Ehemann in eine andere Frau, wollte sich trennen, kam monatelang kaum nach Hause. Das erschütterte die Beziehung stark. Sie blieben endlich doch zusammen, er verließ die andere, trank jedoch deutlich mehr als vorher schon. Durch seine Leberzirrose platzte ihm ein Aderknoten in der Speiseröhre. Er starb zwei Tage lang daran, sie saß an seiner Seite. Und notierte ein paar Zeilen auf ein Blatt Papier: „Als ich neben meinem bewusstlosen Jungen saß, schrieb ich ‚while strolling out an afternoon in June.‘ Das sang er früher einmal, mein Geliebter …

Astrid Lindgrens Erwachsenenleben war also vielfach kompliziert und betrüblich. Umso mitreißender schilderte sie für ihre Leser Kindheiten voller Farbe und Abenteuer. Man kann sie jedoch wahrhaftig nicht bezichtigen, sie hätte fortgesetzt die reine Idylle erschaffen. In ihren Kinderbüchern gibt es durchaus, immer wieder, Verzweiflung, Probleme und auch den Tod. Der Vorwurf vom Büllerbü-Syndrom, das angeblich alles verklärt und in rosa Schleier hüllt, ist ungerecht und nicht zutreffend.

Glücksfaktor: Großartige Literatur für Kinder …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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