Am 19. Juni 1767 wurde eventuell die Bestie von Gévaudan erschossen


Vielleicht aber auch nicht. Die Sache war und blieb geheimnisvoll.

Beinah genau drei Jahre vorher, am 30. Juni 1764, hatte alles angefangen. Jedenfalls wurde an diesem Tag den Behörden der französischen Provinz der Fund einer Leiche gemeldet. Es handelte sich um ein 14-jähriges Hirtenmädchen, das, zerfleischt und halbaufgefressen, sicherlich einem riesigen Wolf zum Opfer gefallen war. 

Möglicherweise allerdings hatte dasselbe Untier schon im Frühjahr eine Hirtin im Osten des Gévaudan angefallen. Der war es gelungen, sich auf einen Baum zu retten.

Ein Wolf, ein riesiger, schrecklicher, menschenfressender Wolf war unterwegs – diese Ansicht verbreitete sich schnell. Um was sonst konnte es sich handeln?

Die Zahl der Todesopfer schwankt zwischen 80 und 100, ungefähr 50 bis 80 Verletzte konnten entkommen. Das älteste Opfer war ungefähr 70, das jüngste erst drei Jahre alt. Und bei der überwiegenden Anzahl der Angefallenen handelte es sich um Personen weiblichen Geschlechts.

Einige Opfer verschleppte das Biest, sogar große und schwere Erwachsene, was für seine ungewöhnliche Kraft spricht. Bei 15 Leichen, die man fand, fehlte der Kopf oder der Schädel war sauber abgenagt. Das Ungeheuer machte Jagd auf Feldern oder Weiden, auf Straßen, im Wald, in Gärten. Sein Jagdgebiet war auf etliche Kilometer ausgeweitet. 

Es schien sich nicht vor Menschen zu fürchten, denn es sammelte manchmal ohne Weiteres ein Opfer aus einer Menge – obwohl es nicht selten auf Gegenwehr traf, Mistgabeln oder Sensen. 

Einige Fälle von ausgeprägter Zivilcourage sind bekannt. So riss der Riesenwolf den achtjährigen Jean aus einer Gruppe junger Hirten und schleppte das Kind mit sich in einen Sumpf. Ein zwölfjähriger Junge namens Jacques trieb seine Kameraden an, Jean zu retten. Er rannte hinter dem Tier und seiner Beute her, bewaffnet mit einer Art Lanze, gefolgt von fünf kleinen Kameraden. Das Untier wurde von den Kindern derart von allen Seiten mit Lanzen gepiekt, dass es schließlich den kleinen Jean losließ und floh. Jean überlebte mit einem verstümmelten Arm.

Und eine Bäuerin rettete eins ihrer Kinder praktisch im mutigen Zweikampf mit der Bestie, die ihre Familie im Garten überfallen hatte und versuchte, entweder die Tochter oder den kleinen Sohn mitzunehmen. Die mutige Mutter sprang dem Tier auf den Rücken, wurde abgeschüttelt und stieg wieder auf, zerrte an seinen Ohren und schlug mit Fäusten auf seinen Schädel. Das Untier sprang über eine Mauer und floh mit dem Sechsjährigen zwischen den Zähnen in den Sumpf (das Gévaudan scheint eine sumpfige Gegend zu sein) Der 13-jähriger Sohn der Familie folgte dem Tier und seinem kleinen Bruder mit dem großen Hütehund, der sich am Biest verbiss. Das floh, den kleinen Jungen zurücklassend, der leider an seinen schweren Wunden eine Woche später starb.

An den ausgelegten Giftködern verendeten Hirtenhunde und ’normale‘ Wölfe sowie Hauskatzen. Das Biest war offenbar zu schlau, davon zu fressen.

Louis XV. setzte eine hohe Belohnung für das Töten oder Fangen der Bestie aus. Die durfte er bereits Anfang 1765  hinblättern, nämlich seinem Waffenträger François Antoine, der den König mit einem großen toten Wolf erfreute und umgehend kassierte. Verschiedene Zeugen, die das echte Biest in Aktion erlebt hatten, bestätigten ungern, aber notgedrungen: Oh, tatsächlich, das ist er ja!

(Und deshalb ignorierten die Behörden auch einige weitere Bestien-Angriffe in den nächsten Monaten. Schließlich hatte Monsieur Antoine das Viech erlegt und war dafür bezahlt worden.)

Doch das Ungeheuer mordete trotzdem weiter, was den Verdacht aufbrachte, es könnte sich um mehrere entartete Riesenwölfe handeln. 

Einige Treibjagden wurden veranstaltet. Im Februar 1765 durchstöberten 20.000 Jäger und Soldaten die Gegend, fanden das Tier auch – und verloren es, weil es geschickt und schnell einen Fluss durchschwamm.

Das Biest war offenbar weder introvertiert noch nachtaktiv. Es jagte keineswegs diskret im Schutz der Dunkelheit, sondern bei Tageslicht mit Lärm und Radau. Deshalb gab es eine ganze Menge Augenzeugen, die es beschreiben konnten. Demnach war es ungefähr so groß wie ein einjähriges Kalb, vorn massiger als hinten, außerdem hinten ‚flacher‘, als wären die Hinterbeine kürzer als die Vorderbeine – ähnlich wie aktuell überzüchtete Schäferhunde. Es hatte rötlich gestreiftes oder getupftes Fell, einen sehr buschigen Schweif und ein unangenehmes, kreischendes Gebell, wie schauriges Lachen.

An wen erinnert uns das? Und was fällt uns dazu ein, wenn wir erfahren, dass der Herzog von Savoyen sich einen netten kleinen Privatzoo hielt, eine sogenannte ‚Menagerie‘, in dem er seinen Gästen interessante Tiere aus Afrika und Indien zeigen konnte? 

Eine Zeitung schrieb bereits 1764: „Es ist dieses Thier ein aus Afrika, in dem Königreich Egypten, unter dem Namen Hyäne bekanntes grosses Raubthier…“ und  „…. dass diese Hyäne bekanntlich aus dem ‚Thiergarten des Herzogs‘ entlaufen ist…“

Auf jeden Fall erlegte der Gastwirt Jean Chastel am Morgen des 19. Juni 1767 ein männliches Raubtier, das im weitesten Sinne einem großen Wolf ähnelte. (Wahrscheinlich ganz besonders für Leute, die noch nie eine Hyäne gesehen hatten.)

Danach war Schluss mit den Angriffen der Bestie von Gévaudan.

Glücksfaktor, manchmal: Ein gut funktionierendes Gewehr …

 

 

 

 

 


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