Am 2. Oktober 2006 wurden fünf kleine Amish-Mädchen erschossen


und fünf weitere durch Schüsse schwer verletzt. Das geschah im US-Staat Pennsylvania, in der kleinen Amish-Gemeinde Nickel Mines.

Amish – so nennt sich eine Religionsgemeinschaft, die in ungefähr tausend Siedlungen verteilt in Amerika und Kanada lebt. Sie lehnen moderne Technik ab, verzichten auf Telefone, Autos und natürlich Computer und Handys. Sie fahren Pferdewagen, verweigern strickt den Wehrdienst oder jeden Eid und leben nach altmodischen Geschlechterrollen. Die Amish-Männer tragen Hüte und Bärte, (außer unter der Nase, weil das als militärisch gilt), die Frauen weiße Häubchen und schlichte Kleider, niemals lange Hosen. Sie sprechen eine eigene Sprache, im weitesten Sinne pfälzisch geprägtes Deutsch, denn sie stammen von Auswanderern aus Südwestdeutschland oder der Deutschschweiz ab. Von dort sind sie im 17.Jahrhundert in die Neue Welt ausgewandert.

Die Amish leben ganz für sich, von den ’normalen‘ Amerikanern separiert, sehr bewusst im christlichen Glauben. Wichtige Stützpfeiler ihrer Überzeugung sind Demut und Gelassenheit.

In diese weltferne Idylle platzte an einem milden Herbsttag das Böse.

Der Täter war ein 32jähriger Milchwagenfahrer, Charlie Roberts, glücklich verheiratet, liebevoller Vater von drei Kindern. Er war kein Amisher, hatte ihnen jedoch Milch geliefert. Insofern kannte er besonders gut die winzige Einklassen-Schule, in der ausschließlich Amish-Kinder unterrichtet wurden.

Roberts war weder vorbestraft noch wusste man von einer psychischen Erkrankung. Seine Kollegen erzählten allerdings, er hätte sich einige Wochen vor der Tat merkwürdig verändert, sei plötzlich mürrisch und wortkarg und finster geworden.

Einige Minuten vor der Tat rief er seine Frau an und erzählte ihr, er habe, als er zwölf Jahre alt  war, zwei kleine Kusinen sexuell belästigt und er könne das Verlangen nicht unterdrücken, so etwas wieder zu tun.

Gegen halb elf am Vormittag, zur Unterrichtszeit, betrat Roberts den Klassenraum und bedrohte Lehrerin und Schüler mit einer Pistole. Er verlangte von einigen Schülern, verschiedene Gegenstände von seinem Wagen in den Unterrichtsraum zu holen. Das war eine ganze Menge: weitere Waffen, Baumaterial wie Holz und Handwerkszeug, Kleidung zum Wechseln (offenbar hatte der Täter die Absicht, etwas länger zu bleiben), Klebeband, Schnüre, Kerzen – und Gleitgel.

Roberts forderte alle Erwachsenen – einige mit Kleinkindern auf dem Arm – eine schwangere Frau und alle männlichen Kinder auf, den Klassenraum zu verlassen. Ein neunjähriges Mädchen verdankte vielleicht ihr Leben der Tatsache, dass sie kein Englisch verstand. Sie meinte, sie solle ebenfalls gehen und folgte ihrem Bruder Peterli nach draußen, was der Täter vermutlich nicht bemerkte.

Er blieb mit zehn Mädchen zwischen 6 und 13 Jahren zurück. Die Lehrerin bemerkte im Hinausgehen, dass Roberts den Kindern die Beine fesselte. Sie rannte, zusammen mit einer der  Mütter, zu einer benachbarten Farm und benutzte dort – das Telefon, um die Polizei zu rufen.

Inzwischen hatte Roberts mit seinem Baumaterial die Klassentür verbarrikadiert. 

Schon um zwanzig vor elf trafen die ersten Polizisten vor der Schule ein, um 11:00 waren es zwanzig Beamte, Sanitäter und Einwohner. Auf die Aufforderung, sich zu ergeben und hinauszukommen, erwiderte Roberts, wenn nicht alle sofort verschwänden, würde er die Mädchen erschießen. Damit begann er dann einige Minuten später. Er schoß aus nächster Nähe mit seiner Pistole und einer Schrotflinte auf jedes der Mädchen – schließlich, als er meinte, alle Kinder wären tot, sich selbst in den Kopf. Was auch immer er mit den Mädchen vorgehabt hatte, konnte er offenbar nicht verwirklichen, weil er viel früher als geplant gestört worden war.

Zwei der kleinen Mädchen, 11 und 13  Jahre alte Schwestern, baten ihn gleich zu Anfang, sie zu erschießen und dafür die anderen laufen zu lassen. (Marian wurde getötet, Barbara überlebte.)

Amokläufe und Schulmassaker sind in den Vereinigten Staaten keine Seltenheit. In dieser Kulisse waren sie allerdings noch nie passiert.

Wirklich interessant ist die Reaktion der Amish-People.

Sie unterstützten die Familie des Täters. Ein Mitglied der Gemeinde sagte: „Ich glaube nicht, dass es hier jemanden gibt, der anderes will als vergeben, der nicht nur denen helfen will, die einen solchen Verlust erlitten haben, sondern auch der Familie des Mannes, der diese Taten begangen hat.“

Der Großvater eines Opfers meinte, es sei falsch, den Täter zu hassen. Stattdessen gründete die Gemeinde einen Wohltätigkeitsfonds und sammelten Geld für die Familie Roberts. Ein großer Anteil der Gemeinde nahm an der Beerdigung  des Mörders teil. Außerdem luden sie  seine Witwe zu den Beerdigungen ihrer Töchter ein.

Die schrieb daraufhin ihrerseits einen offenen Brief, in dem sie den Amischen für ihre Barmherzigkeit dankte. Ihr Verhalten habe nicht nur ihr geholfen, es könne die Welt ändern …

Die Amish rissen das Gebäude der West Nickel Mines School ein paar Tage später vollständig ab. An anderer Stelle wurde eine neue, die ‚New Hope School‘ hingestellt und ein halbes Jahr später eingeweiht. Und diese neue Schule baute man bewusst so verschieden wie möglich vom alten Schulgebäude.

Glücksfaktor: Ein aufgeklärter Verstand, der sich nicht mit solchem Firlefanz wie Religion abgibt.


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