Am 22. Oktober 1631 wandte sich der Doge von Venedig mit einer Bitte an die Jungfrau Maria


In diesem unheilvollen Jahr hatte der zierliche und sensible Nicolò Contarini dieses Amt inne.

Ein Doge war der mächtigste Mann der Republik Venedig, Staatsoberhaupt und Fürst. Er trug statt einer Krone eine Art Hörnchen auf dem Kopf. Venedig war seit Jahrhunderten eine Eliterepublik der Welt, La Serenissima Repubblica di San Marco ‚Die allerdurchlauchteste Republik des Heiligen Markus‘, reich, geachtet, unabhängig und stolz.  

Die meisten Dogen wurden erst im hohen Alter in ihr Amt gewählt und durften keineswegs alles hinschmeißen, wenn sie keine Lust mehr hatten. So ähnlich wie auf dem englischen Thron gab es im Grunde nur einen einzigen Ausweg, nämlich den nach ganz oben.

(Der Doge Nicolò da Ponte etwa, den die Stadt 1578 in dieses Amt wählte, war da bereits 87 Jahre alt.

Er hielt sehr tapfer sieben Jahre lang aus, vor allem, nachdem man ihm eine samtüberzogene Stütze an seinen Thron montiert hatte; denn er war bei den Amtshandlungen ein paarmal eingeschlafen und zu Boden gepurzelt.)

Was Nicolò Contarini angeht, so war er erst seit kurzem, seit Januar 1630, der Doge. Abgesehen davon, dass die Politik sich gerade sehr unerfreulich gestaltete – Venedig war verwickelt in den Mantuanischen Erbfolgekrieg und verlor einige Schlachten gegen den deutschen Kaiser Ferdinand und die mit ihm verbündeten Spanier; das Osmanische Reich erstarkte auf’s Unerfreulichste, und die Holländer ebenso wie die Engländer übertrafen plötzlich mit ihrem raffinierten Schiffsbau alle anderen Nationen, sogar die bisher so überlegene Serenissima – abgesehen davon gesellte sich auch noch eine der gefährlichsten Seuchen dazu, die Beulenpest. Warum kommt eigentlich immer alles auf einmal?

Zwar besaß die Stadt die erste Quarantänestation der Welt. Aber ein Durchsetzen dieser 40-Tage dauernden Blockade würde den Handel abschnüren, die Versorgung unterbinden. Vielleicht handelte es sich ja nur um einen kleinen Ausbruch der Krankheit?

Ab Juni 1630 gibt der Senat zu, dass es ernst ist. Der Zorn Gottes liegt auf der Stadt. Sofort  beginnen die Verhandlungen. Was könnte der HERR beanspruchen? Glücksspiel und zuchtlose Kleider sind ab sofort verboten. Eine Dame soll tiefe Ausschnitte und Schmuck weglassen, sich um Schlichtheit bemühen und am besten das Flirten ganz einstellen.

Das nützt nicht so viel. Bis September beklagt Venedig 1216 Tote, im Oktober sind es schon 2121. Alles wird unerschwinglich teuer in der blockierten Stadt. Die Bürger, oft in ihren Häusern eingesperrt wie in Gefängnissen, legen Vorräte an. Schnell gibt es kaum noch Kerzen und Öl oder Wein, die Preise für Brot, Fisch und Fleisch steigen in lächerliche Höhen. 

Bitt-Gottesdienste werden Tag und Nacht veransteltet, Prozessionen bewegen sich durch die Stadt. Inzwischen sind Kneipen und Bordelle, Kaufhäuser, Webereien und Lagerhäuser geschlossen. Fast jeder weiß, wer eigentlich Schuld ist: Die Sünder, die Juden, die Gottlosen oder unser gemeiner Nachbar. Der Rauch verbrannter Leichen hüllt alles ein. Ärzte mit Schnabelmasken wandern durch die Straßen.

Der Pestheilige, St.Rocco, soll helfen. Aber der hat offenbar gerade etwas anderes zu tun. 

Da regt am 22. Oktober der amtierende Doge, der sehr stille und etwas schüchterne Nicolò Contarini, etwas Neues an: Da Gott und der Heilige Rocco offenbar unzugänglich sind, was die Bitten ums Abstellen der Pest angeht, will er es jetzt noch mal bei einer anderen Adresse versuchen. Vielleicht hat ja Maria, die Muttergottes, mehr weibliches Mitgefühl. Natürlich bietet Contarini etwas im Gegenzug an! Venedig wird, sofern die Seuche bald ein Ende nimmt, eine wunderbare Kirche bauen, ein Prunkstück von einer Kirche, Maria geweiht. 

Das Angebot ist raus. Maria überlegt.

Im November stirbt jeder zehnte Mensch in der Stadt an der Seuche, 14.500 Tote verzeichnet die Gesundheitsbehörde. Vielleicht sind auch einige schlicht verhungert, denn ein einziges Brot kostet inzwischen sieben Golddukaten. 

Aber mit dem Winter, dem neuen Jahr, kommt ein wenig Hoffnung auf. Es scheint, als wäre die Ernte des Todes nicht mehr ganz so üppig. Allerdings ist die Stadt wirtschaftlich schwer gebeutelt und sie wird sich nie wieder wirklich erholen. 

Am 2. April 1631, fast zum Schluss, holt sich die Pest noch den Dogen: Nicolò Contarini stirbt, 77 Jahre alt, sein Leben lang unverheiratet und ohne Nachkommen, immer sehr zurückhaltend und freundlich. Ihm kommt das Verdienst zu, der Muttergottes das Ende der schrecklichen Krankheit abgerungen zu haben.

Und dann beginnt der Bau einer wunderschönen Kirche, Santa Maria della Salute, der ‚Heiligen Maria der Gesundheit‘. Der Senat Venedigs hält sein Versprechen, wie es sich für einen guten Kaufmann gehört.

Weil diese Stadt auf Schlamm gebaut ist, müssen als Fundament zunächst mehr als eine Million Baumstämme in den Boden der Lagune gerammt werden. Dann ist erstmal das Geld alle und es muss neu gespart werden. Im Juni 1686 steht sie schließlich, nach  56 Jahren Bauzeit, gegenüber dem Dogenpalast, gleich am Eingang des Canal Grande …

Glücksfaktor: Wenn aus Verzweiflung etwas besonders Schönes entsteht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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