Am 28. März 1584 starb endlich Iwan, der Schreckliche


Meiner Freundin Siri, die Katzen liebte, war mal ein sehr kleiner Kater zugelaufen, den sie Iwan taufte. Sie sagte, Katzen lieben Namen, in denen ein I sitzt. Sie besorgte ihm einen schönen Korb und ein Fressnäpfchen und stellte beides in die hinteren Räume ihrer Wohnung, in denen vorn ihr Büro lag.

Nachdem dieses winzige Kätzchen einige Wochen bei ihr lebte, hatte es zwei Gardinen ruiniert, einen chintzbezogenen Sessel zerstört, einige Meter Tapete zu lockigen Streifen verarbeitet und die Hände aller Menschen, die mit ihm zu tun bekamen, mit feinen roten Narben bedeckt. Siri und ihre Mitarbeiterinnen nannten es nur noch ‚Iwan, das Schreckliche‘.

Vor langer Zeit gab es einen russischen Zaren, der hieß Iwan und war noch viel schrecklicher.

Sicherlich verdiente er mildernde Umstände, denn seine Kindheit gestaltete sich alles andere als erfreulich. Nachdem sein Vater, Großfürst Wassili III., seine langjährige Ehefrau ins Kloster geschickt hatte (das übliche Dilemma der mangelnden Hervorbringung eines Thronerben) und schleunigst eine jüngere Frau heiratete, wurde der kleine Iwan 1530 geboren. Sein Vater war bereits Anfang fünfzig, für damalige Begriffe im letzten Lebensabschnitt. Was er umgehend bewies, indem er starb. Nun war der dreijährige Iwan nicht nur Halbwaise, sondern eigentlich Herrscher über alle Russen. Da ihn das einstweilen etwas überforderte, regierte erst mal seine Mutter für ihn. Jedenfalls solange, bis man sie vergiftete. Da war Iwan sieben.

Die kommenden Jahre verbrachte er damit, zu überleben. Es gab wohl niemanden, der ihn lieb hatte und nett zu ihm war, dafür viele verschiedene Bojaren – die russischen Adligen – die ihn hin und her schubsten, als Machtmittel benutzten oder irgendwie versuchten, über ihn selbst an den Thron zu kommen. Iwan verbrauchte viele Vorkoster, litt an ‚Launen‘ (genauer gesagt, seine Umgebung litt daran) und krankhaftem Misstrauen (kein Wunder). Außerdem entwickelte er einen saftigen Sadismus, den er einstweilen vor allem an Tieren ausließ. Ich will nicht ins Detail gehen, aber für meine Begriffe war es schade, dass es damals noch nicht gelang, ihn zu vergiften.

Als er dreizehn war, im Winter 1543, ordnete er an, dass eine Meute von Jagdhunden eine Woche  lang nichts zu fressen bekam. Dann befahl er, einen der Bojaren, der ihn besonders geärgert hatte, nackt in das Gehege der Hunde zu werfen und schaute zu, wie er zerrissen wurde.

Mit sechzehn Jahren ließ Iwan sich zum Zaren krönen und heiratete auch gleich, eine Anastassia, die einige Jahre älter war als er, lange seidige Zöpfe besaß und die ihn immerhin kurzfristig besänftigen konnte, wenn er seine Wutanfälle kriegte.

Anschließend ging er daran, seine Herrschaft auszubauen. Innerhalb ziemlich kurzer Zeit entmachtete und enteignete er die meisten Bojaren. Sofern er sie nicht umbrachte, stopfte er sie in Klöster. Bevor er zwanzig war, agierte er als absoluter Alleinherrscher. Vorher hatten die Bojaren eigene Heere besessen, eigenes Recht gesprochen und sich nicht sonderlich um den jeweiligen Mann auf dem Thron gekümmert. 

Am 28. März 1554 bekam Anastassia ein Söhnchen, Iwan Iwanowitsch. Der kleine Thronfolger war erst sechs, als seine Mutter starb. Iwan der Schreckliche geriet außer sich. Er war vollkommen sicher, dass der einzige  Mensch, dem er vertraut hatte, vergiftet worden sei und er begann jetzt, ohne den beruhigenden Einfluss seiner Frau, richtig böse zu werden. Es hagelte Todesurteile. Einige vollzog er gleich selbst, indem er eigenhändig jemanden erschlug, auf den er wütend war. Er besaß einen langen Stock mit schwerem Silberknauf, den er bei Bedarf umdrehte, um damit zuzuschlagen.

Er liebte Massenhinrichtungen und dachte sich immer neue Foltermethoden oder langsame, quälende Todesarten aus, denen er gern beiwohnte. Seine Grausamkeit wurde legendär und  er erhielt jetzt  seinen Beinamen. In seiner ‚Bestrafung‘ der Stadt Nowgorod, 1570, verübte er ein Massaker, dem Tausende zum Opfer fielen. Speziell Frauen und Kinder ließ Iwan gefesselt in einen eisigen Fluss werfen und diejenigen, die nicht gleich ertranken oder erfroren, wurden mit Äxten zerstückelt.

Im gleichen Jahr machte der Zar von Russland der englischen Königin Elizabeth I. übrigens einen Heiratsantrag, und zwar in einem ziemlich groben und unverschämten Ton. Sie lehnte das natürlich ab. Erstens wollte sie sowieso nicht heiraten und zweitens bestimmt nicht diesen Unhold.

Iwan war nach der Ehe mit Anastassia noch mit sechs weiteren Frauen verheiratet, für gewöhnlich nicht lange und nie wieder glücklich. Entweder verstieß er sie und steckte sie ins Kloster – oder sie wurden vergiftet, von wem auch immer. 

Leider verlernte der Zar es immer mehr, sich zu beherrschen. Als ihn 1581 die schwangere Frau seines Sohnes Iwan irgendwie ärgerte, schlug er mit seinem Stock auf sie ein. Zwar überlebte sie die Prügel, aber sie erlitt eine Fehlgeburt. Das missfiel verständlicherweise dem Zarewitsch und er marschierte zu seinem Vater, um ihm Vorwürfe zu machen.

Nun durfte allerdings niemand dem Alleinherrscher aller Russen Vorwürfe machen, nicht einmal sein an sich sehr geliebter Sohn. Iwan hob wieder den Stab und gab dem Thronfolger einen Klapps an den Kopf. Als der Zarewitsch zusammenbrach, aus Nase und Ohren blutete und nicht mehr ansprechbar war, begriff Iwan, was er getan hatte. Anschließend wurde er fast komplett wahnsinnig. Er rammte bei der Beerdigung immer wieder seinen eigenen Kopf an den Sarg seines Sohnes, bis er selbst wie verprügelt  aussah.

Es wird angenommen, dass Iwan der Schreckliche auch vergiftet wurde. Er starb mit 54 Jahren, ganz genau am Geburtstag des Sohnes, den er totgeschlagen hatte: Der Zarewitsch wäre an diesem Tag dreißig Jahre alt geworden …

Glücksfaktor: eine angenehme Kindheit.

P.S.: Der kleine Kater, Iwan-das-Schreckliche, wurde auch nicht alt. Er fiel, bevor er erwachsen war, über einen freundlichen alten Setter her und versuchte, ihm ein Auge auszukratzen. Als der Hund ihn  entrüstet anbellte, rannte Iwan auf die verkehrsreiche Rothenbaumchaussee und wurde sofort überfahren. Da waren alle, die ihn gekannt hatten, ein bisschen traurig. Aber auch nicht völlig untröstlich …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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