verübte das Ehepaar Hitler, Adolf und Eva, geborene Braun, Selbstmord. Er erschoss sich. Sie nahm Zyankali. Das war übrigens ihr vierter Selbstmordversuch und der erste, der gelang. Im August und im November 1932 hatte sie sich bereits vergeblich in die Brust und in den Hals geschossen, im Mai 1935 schluckte sie den Inhalt einer Packung Schlaftabletten – klappte wieder nicht. Die Hitlers waren, als sie starben, ungefähr einen Tag lang verheiratet gewesen.
Dieser gemeinsame Suizid fand mitten in der Endschlacht um Berlin statt, die zwischen dem 16. April und dem 2. Mai tobte. Die rote Armee der Sowjetunion unter Beteiligung einiger polnischer Einheiten bezwang den letzten Widerstand der deutschen Wehrmacht.
Diese Kämpfe forderten ungefähr 170.000 Gefallene und 500.000 verwundete Soldaten – mal zu schweigen vom Tod Zehntausender Berliner Zivilisten. Meine Eltern befanden sich zunächst mittendrin.
Mein Vater, der sein Leben lang (höchst unfreiwillig) nichts ausließ, was richtig spektakulär war und weh tat, hatte im Kessel von Stalingrad mitgekämpft. Er erhielt damals für irgendeine Tapferkeit das Eiserne Kreuz. Ein Kamerad fotografierte ihn mit dem Ding, und sein Gesicht zeigt deutlich, wie glücklich und stolz er sich fühlte und wie viel es ihm bedeutet hat. (Ich kann ihn geradezu fluchen hören!)

Kurz darauf, im Dezember 1942, geriet er in russische Gefangenschaft – Ziel Sibirien. Weil mein Vater immer dann zu Hochform auflief, wenn die Situation am verzweifelsten war (in guten Zeiten gelang ihm weniger), schaffte er es irgendwie, noch vor dem Abtransport zu fliehen.
Dann kämpfte er sich durch den russischen Winter, teilweise durch hüfthohen Schnee, Richtung Westen. Er aß, wie er mir erzählte, Baumrinde und einmal ein rohes Eichhörnchen. Er war als kleiner Junge in Thüringen bei den Pfadfindern gewesen und überhaupt ein richtiger Naturbursche. Als sehr kleines Mädchen sah ich, wie er vor dem Fernseher saß und weinte. Da zeigten sie einen Mehrteiler (So weit die Füße tragen) über einen Deutschen Gefangenen, der aus einem sibirischen Lager flieht – allerdings nach dem Krieg und monatelang. Er seinerseits war kaum fünf Wochen lang unterwegs gewesen, dann fand er, mit sehr viel Glück, eine deutsche Einheit, bekam seine teilweise erfrorenen Füße behandelt und wurde in einen Zug nach Berlin gesetzt.
Im März 1943 kam er bei meiner Mutter zu Hause an. Die Seiferts war damals übrigens seit ziemlich genau drei Jahren verheiratet.

Bis zum Kriegsende wurde mein Vater nicht mehr an die Front geschickt, weil die gesundheitlichen Schäden, die er sich bei seiner Flucht durch den russischen Winter zugezogen hatte, schwer genug waren, um ihm einen Job im Bendlerblock, im Allgemeinen Heeresamt, zu bescheren.
Und weil mein Vater sich (ähnlich wie Forrest Gump) immer da herumtrieb, wo wirklich etwas los war, arbeitete er am 21. Juli 1944 noch spät in einem der Büroräume. Es hatte Gerüchte gegeben, dass auf Hitler ein Attentat verübt wurde. Aber man hatte sich zu früh gefreut, die Sache war wieder mal daneben gegangen. Die Attentäter: Stauffenberg, Olbricht, von Quirnheim und von Haeften – wurden im Innenhof des Bendlerblocks umgebracht. Mein Vater hörte die Schüsse.
Und jetzt, am 30. April 1945, kämpfte Berlin, während der Führer ins Jenseits schlich, Schäferhund Blondie voran. Das war der Moment, in dem mein Vater, immer noch Mitglied der Wehrmacht, desertierte. Gemeinsam mit einem Vorgesetzen klaute er, in Zivilklamotten, einen Jeep, packte meine Mutter und ihre Schwester Vera mitsamt einem sehr kleinen Köfferchen in das Auto und fuhr los. Ein weiteres Mal weg von den Russen, nach Westen.
Unterwegs, zwischen der umkämpften Reichshauptstadt und Hamburg, flogen einige britische Jäger über sie hinweg. Die vier Insassen stürzten aus dem Jeep und in einen Straßengraben, um dort Deckung zu nehmen. Aber meine Tante Vera richtete sich wieder auf, weil sie den Tieffliegern hinterher sehen wollte. Leider waren das noch nicht alle gewesen – ein einziger flog alleine zum Schluss und warf eine Granate. Die zerfetzte meiner Tante den gesamten Rücken und den Hinterkopf und meinem Vater den Mittelfinger der rechten Hand, mit der er seine Schwägerin nach unten ziehen wollte. Sie starb sehr schnell in den Armen meiner Mutter.
Meine Eltern, ihr Freund und meine tote Tante erreichten Hamburg am Abend. Eine Woche später, am 8. Mai, einem strahlenden, sonnigen Tag, war der Krieg für Europa zuende.
Glücksfaktor: Ich bin erst aufgetaucht, als längst, längst Friede war …