Der junge Mann am Steuer, Hans-Joachim H., erzählte später lobend: „Der war das ideale Ding für meinen Zweck. Er fährt wunderschön, leichter wie ein Golf und macht 100 Sachen.“
Geklaut hatte H. das zweckmäßige Fahrzeug – einen Radpanzer vom Typ Fuchs, etwa drei Meter breit und sieben Meter lang – natürlich bei der Bundeswehr, nämlich aus der Herrenwald-Kaserne
in Stadtallendorf. Praktischerweise hatte Hans-Joachim sowohl seinen Wehrdienst geleistet als auch eine Haftstrafe in der von ihm attackierten Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt abgebüßt. Er kannte sich also bestens in beiden Lokalitäten aus. Außerdem schien er zu wissen, dass so ein gefährlich aussehender Panzer sich ohne weiteres mit einem VW-Golf Schlüssel starten lässt – denn genau das tat er.
Vorher war er an diesem sonnigen Nachmittag über einen zweieinhalb Meter hohen Sicherheitszaun der Bundeswehr geklettert, hatte sich geschmeidig in eine große Halle geschlichen, das Vorhängeschloß vom dreiachsigen Radpanzer entfernt – war eingestiegen und gab Gas.
Drei Soldaten bewachten zu diesem Zeitpunkt das über 30 Hektar weite Gelände. Keinem von ihnen fiel der Diebstahl zunächst auf.
Mit leichter Hand und vermutlich mit leichtem Herzen steuerte Hans-Joachim H. das tonnenschwere Fahrzeug in die ungefähr 20 Kilometer entfernte Gemeinde Schwalmstadt. Dort angekommen, bretterte er durch ein Seitentor der Hochsicherheits-Justizvollzugs-Hauptanstalt und gleich anschließend durch drei weitere Eisentore. Das Ausbrechen aus dem festungsartigen Gebäude galt als ziemlich unmöglich. H. sah sich also geradezu gezwungen, zu etwas energischeren Mitteln zu greifen, um seinen Freund Lothar L. (dreifacher Frauenmord, lebenslänglich) zu befreien.
Im Gefängnis-Innenhof schnappten gerade neun Gefangene ein wenig frische Luft – darunter übrigens drei RAF-Terroristen. Einer der Häftlinge war Hans-Joachims guter Freund Lothar, alle zusammen wurden von einigen Justizbeamten bewacht. Als Lothar L. am Panzer hochkletterte und durch die von innen geöffnete Einstiegsluke krabbelte, hielten die Wachleute ihn nicht fest. Sie beschränkten sich darauf, die übrigen Häftlinge beiseite zu drängen, vermutlich, damit ihnen die nicht auch noch abhanden kamen. (Die damalige hessische Justizministerin erklärte später, es sei aus Rücksicht auf die anderen Gefangenen und herbeieilende Bedienstete von den Schusswaffen kein Gebrauch gemacht worden.) Der Panzer wendete elegant und fuhr durch die vier kaputten Tore in die Freiheit.
Zwei Streifenwagen verfolgten den Fuchspanzer eine Weile übers Feld und in den Wald, bis der eine steckenblieb und der andere aufgab. Die Polizisten fuhren halt in normalen Autos, wenn auch mit Sirene.
Dann gab es eine Großfahndung, Polizei- und Bundesgrenzschutz-Hubschrauber suchten vergeblich, baten schließlich um weitere Fluggeräte bei der Hubschrauberstaffel des Heeres in Fritzlar. Daraus wurde leider nichts, weil, wie die Bundeswehr mitteilte, kein Pilot zur Verfügung stand.
Später fand sich der Panzer in der Nähe einer Autobahn – natürlich ohne Insassen.
Die Kaserne war inzwischen von einem aufmerksamen Soldaten, der zu Hause aus dem Fenster guckte und erstaunt den Fuchs vorbeirollen sah, telefonisch informiert worden und hatte festgestellt, dass tatsächlich ein Fahrzeug weniger in der Halle stand. Aus irgendeinem Grund jedoch versäumten man es, deshalb die Polizei zu informieren.
Eine Weile fehlte von Lothar L. und seinem Fluchthelfer jede Spur. Doch Hans-Joachim H. wurde einige Wochen später in Frankfurt geschnappt und für seine Befreiungstat zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Den Dreifachmörder Lothar L. fand die Polizei ein Vierteljahr später im Elsass und stopfte ihn wieder in den lebenslangen Knast.
Ungefähr zwanzig Jahre nach seiner Panzerfahrt versuchte der erneut einsitzende Hans-Joachim H. (inzwischen sexuelle Nötigung und schwerer Raub) noch einmal eine Flucht. Diesmal seine eigene. Als Fluchtfahrzeug wählte er nun einen Gabelstapler. Doch so praktisch ein Elektrostapler sein mag – er ist kein Panzer. Dieser Fluchtversuch scheiterte …
Glücksfaktor: Gute Freunde!