Am 6. September 1949 tötete der 26jährige Howard Unruh 13 Menschen


hatte jedoch auf genau die doppelte Anzahl von Mitbürgern, nämlich 26, geschossen. Für seine Tat  benötigte er zwölf Minuten.

Die meisten Opfer wurden zumindest schwer verletzt. Später gab der junge Mann zu Protokoll, er hätte gern tausend von ihnen getötet, wenn er nur genug Munition gehabt hätte.

Natürlich spielte sich das Ganze in Amerika ab, denn hier ist es bekanntlich so einfach, sich eine Waffe zu besorgen, als würde man eine Packung Kekse kaufen.

Ebenso natürlich war der Massenmörder deutschstämmig, wie aus seinem Nachnamen hervorgeht. Wir sind nunmal – das kann man schon bei James Bond beobachten – (gemeinsam vielleicht mit den Russen) die Bösen auf dieser Welt. Howards Mutter war übrigens eine geborene Vollmer, sein Blut also beidseitig verseucht.

Diese Mutter hatte nach der Scheidung vom Vater ihren Howard und seinen jüngeren Bruder in Camden, einer Hafen- und Industriestadt in New Jersey, allein großgezogen und ihr Bestes getan, die Jungens zu netten, sauberen, frommen jungen Männern zu machen. In der Highschool galt Howard als sehr schüchtern. Damals wollte er gern Beamter werden.

Als er einundzwanzig war, 1942, zog man ihn allerdings erstmal zum Kriegsdienst ein. 1944/45 verteidigte er die Freiheit als Panzersoldat in Europa, zeichnete sich an vorderster Front durch große Tapferkeit aus und erhielt mehrere Orden für seine Verdienste.

Sein Vorgesetzter war völlig begeistert und äußerte, er wünsche sich mehr Soldaten von Howards Kaliber. Der würde sich weder betrinken noch Mädchen nachstellen oder fluchen, sondern stattdessen stundenlang in der Bibel lesen und lange Briefe an seine Mama schreiben.

Das mit dem In-der-Bibel-lesen mochte mit einer gewissen Verwirrung zu tun haben, die ein schlichtes Gemüt vielleicht empfand, wenn es nun zum Töten angefeuert und dafür belobigt wurde, ein exzellenter Schütze zu sein, nachdem ihm immerhin seine Kindheit hindurch eingehämmert worden war: Du sollst nicht Töten!

Ein wenig befremdlich kam es dem lobenden Offizier allerdings schon vor, dass Howard sich die ausführlichsten Notizen über seine getöteten Feinde machte, bis zu Details über die Leichen.

Jedenfalls entließ die Army den jungen Mann ehrenhaft in den Alltag der Stadt Camden zurück, nachdem der Krieg gewonnen war. Howard arbeitete ein wenig in einem Metallbetrieb, er fing eine Pharmazie-Ausbildung an – aber schließlich wohnte er erst mal nur bei Mama, die einen Job in einer Seifenfabrik hatte. Er verteilte seine Kriegsauszeichnungen im Haus, las weiter ausdauernd in der Bibel und richtete sich im Keller einen Übungs-Schießstand ein – denn immerhin war er dafür belobigt worden, ein exzellenter Schütze zu sein. Es galt also, in Übung zu bleiben.

Die Nachbarn missbilligten Howards Verhalten. Sie unterhielten sich öfter über ihn als mit ihm, nicht unbedingt um Diskretion bemüht. Howard merkte, dass er ausgelacht wurde, und das sollte er auch ruhig merken. Was war denn das für eine Art, vom Kriegshelden zum Schlappschwanz zu mutieren? Der Krieg war vorbei, ein richtiger Mann kam nun zurück ins Alltagsleben und vergaß oder verdrängte die unerfreuliche Angelegenheit an der Front. Howard war wohl kein richtiger Mann?

Auf jeden Fall kann man so viel sagen – dass er zur Freude seines Vorgesetzten nicht den Mädchen nachstellte, lag daran, dass Howard sich aus Mädchen nichts machte. Unglücklicherweise galt so was Ende der 40er Jahre als unerwünscht und peinlich. Howard war keineswegs queer, sondern quer. Er gehörte (heimlich) zu einer missliebigen Randgruppe, ganz egal, wie breit dieser Rand sein mochte. Homosexualität galt selbstverständlich als psychische Krankheit, war jedoch ebenso selbstverständlich strafbar. Allein in dem Verdacht zu stehen machte sich ungünstig bemerkbar. Auf Weichlinge legte die Gemeinschaft überhaupt keinen Wert. Jemand, der anders ist, beinhaltet immer eine potenzielle Gefahr für alle, die nicht anders sind. So, wie heute jeder Querdenker auf den Nazihaufen fliegt, flog ein Außenseiter damals sofort in die Kommunistenecke. Menschen denken gern einfach.

Weil die Nachbarn, ganz überzeugt von ihrer richtigen Meinung (und ohne Ahnung von Howards sexuellen Orientierung), immer wieder über die Rabatten latschten, um das Gespräch mit ihm zu suchen und ihm zu vermitteln, wie er sich ihrer Meinung nach Benehmen sollte – brachte er am Nachmittag des 5. September entnervt ein schmiedeeisernes Tor vor Mutters Garten an, eine ziemlich knifflige und mühsame Sache. Anschließend wollte er ins Kino, denn dort hatte er sich mit einem anderen jungen Mann verabredet, was auch immer daraus werden mochte.

Es wurde überhaupt nichts daraus, weil wieder ein gutbürgerlicher Mitmensch Howards Weg kreuzte und ihn mit seinen Ratschlägen – „Du kannst doch deiner Mutter nicht ständig auf der Tasche liegen, was soll denn aus dir werden?“ – beballerte. Howard war nicht die Person, sich kurz und energisch zu entschuldigen, weil er einen Termin wahrnehmen müsse. Er stand sich die Beine in den Bauch, suchte nach Argumenten, bemüht, höflich zu bleiben. Man konnte doch nicht einfach sagen: „Lieber Freund, das geht dich überhaupt nichts an!“ Zumindest Howard, höflich und schüchtern, konnte das nicht.

Als er endlich ins Kino kam, war seine Verabredung schon gegangen. Das mochte ihn sehr enttäuscht haben, vielleicht auch beunruhigt, denn derartige Kontakte waren schließlich verboten. Außerdem ist anzunehmen, dass er sich stundenlang über den besserwisserischen Nachbarn ärgerte, der ihn aufgehalten hatte.

Als er nachts nach Hause kam, erwartete ihn die nächste Überraschung. Irgendjemand, dem das eiserne Tor vor dem Garten der Unruhs nicht passte, hatte es herausgebrochen und auf die Straße geworfen. 

Am folgenden Morgen machte Howard Unruh nach dem Frühstück eine Liste mit den Namen der Menschen, die er besonders wenig leiden konnte. Er griff nach seiner Luger P08-Pistole, (eine deutsche Waffe) lud sie mit einem Acht-Schuss-Magazin, stopfte sich weiterer Munition in die Jacken- und Hosentaschen und marschierte ins heimatliche Viertel, um seine Nachbarn umzulegen.

Später sagten alle, sie wären völlig fassungslos und hätten gerade von diesem stillen Muttersöhnchen niemals etwas Derartiges erwartet.

Man erklärte Howard übrigens für unzurechnungsfähig, weshalb man ihn nicht ins Gefängnis, sondern in eine Anstalt steckte. Der verstörte Kriegsveteran wurde 88 Jahre alt.

Glücksfaktor: Sein zu dürfen, wie man will. Oder schweigsame Nachbarn.

 

 

 

 

 

 

 


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