Wie wir uns alle denken können, war sie ein Opfer des ersten Weltkriegs. Und dann ahnen wir auch schon, wer sie versenkt hat …
Die Engländer machten sich Anfang des 20. Jahrhunderts ein wenig Sorgen um ihre Vorrangstellung auf allen sieben Meeren. Zwar sangen sie immer noch ‚Britannia Rule the Waves‘ – aber die rechte Überzeugung fehlte. Dieser deutsche Kaiser, Wilhelm der Zweite, begeisterter Segler und überhaupt völlig unnötig maritim, setzte seit einer Weile durch seine Norddeutsche Lloyd (diese sogenannte ‚Weltreederei‘) ständig irgendwelche nautische Giganten auf’s Meer, die auch noch wie verrückt flitzen konnten. Das Blaue Band für die schnellste Atlantiküberquerung befand sich seit 1897 fest in deutscher Hand.
So ging es nicht weiter. Im Jahr 1907 wurden zwei prachtvolle Schwestern geboren – oder, anders ausgedrückt, liefen zwei bildschöne Riesendampfer in Liverpool vom Stapel. Im Juni die Lusitania,
im August die Mauretania. Die Lusitania war etwa zwei Monate lang das unbestritten aller-allergrößte Schiff der Welt mit 239,3 Metern Länge, 26,75 Metern Breite und 31.550 Bruttoregistertonnen. Besatzung: 802 Mann – bis ihre Schwester aufs Wasser rutschte.
Die übertraf sie dann noch um ein Häppchen: 240,80 Meter Länge, 26,80 Meter Breite und 31.938 Bruttoregistertonnen sowie zehn Mann Besatzung mehr.
Damit waren die beiden englischen Mädels um etwa 30 Meter länger als das bis dahin weltweit größte Schiff, die deutsche Kaiserin Auguste Viktoria. Ha!
Selbstverständlich strotzten diese schwimmenden Hotels vor Luxus. Die Mauretania in der Ausstattung eher dunkel, gediegen und dezent, die Lusitania ganz in Weiß und Gold, wie hier im Speisesaal der ersten Klasse …
Darüber hinaus galten beide Schiffe als ‚völlig unsinkbar‘. (Mit so einer Voraussage sollte sich dann etwas später ja auch die Titanic noch blamieren.) Flink waren die Schwestern – die in ihrer Heimat bald zärtlich Lucy und Maury genannt wurden – obendrein. Sehr bald befand sich das ‚Blaue Band‘ wieder im britischen Besitz, eine Weile jagten die beiden es sich gegenseitig ab – Maury behielt es schließlich bis 1929. Überhaupt war sie in fast jeder Beziehung die Glücklichere der Schwestern. Sie vermied nahezu alle nennenswerten Katastrophen, schwamm durch Krieg und Frieden zuverlässig dahin und starb 1935 an Altersschwäche im Bett – in ihrem Fall bedeutetet das: auf der Abwrack-Werft.
Die Lusitania war weniger vom Glück begünstigt. Sie bekam von Anfang an häufiger Probleme durch schlechte Wetterfronten oder den Ausfall eines Kessels, sie verlor ihren 600 Dollar teuren Steuerbord-Anker (was ziemlich schlampig klingt) und begegnete im Atlantik 25 Meter hohen Monsterwellen, durch die Teile der Funkstation und der Komandobrücke zerstört wurden.
Nachdem 1912 die unsinkbare Titanic gesunken war, betrachteten Sicherheitsfachleute nachdenklich die Rettungsboot-Ausstattung der Lusitania und kamen zu dem Schluss, dass ihr ein paar mehr davon nicht schaden könnten. Die bekam sie dann auch.
Bedauerlicherweise nützte das im Endeffekt auch nur sehr bedingt, als ihr am 7. Mai 1915 ein U-Boot der Kaiserlichen Marine einen Torpedo verpasste. Die Lusitania hatte nie so richtig Glück.
Dabei war es der Feind selber, der warnte! Am 22. April ließ die Kaiserliche Deutsche Botschaft in den 50 größten amerikanischen Zeitungen, direkt neben den Abfahrtszeiten der Transatlantikdampfer, eine Notiz abdrucken, die Passagieren davon abriet, auf einem der großen britischen Dampfer durch die Kriegszone um die britischen Inseln zu fahren – wenn schon, dann bitte auf eigenes Risiko …
„ACHTUNG! Reisende, die vorhaben, den Atlantik zu überqueren, werden daran erinnert, dass Deutschland und seine Alliierten und Großbritannien und seine Alliierten sich im Kriegszustand befinden; dass das Kriegsgebiet auch die Gewässer rings um die Britischen Inseln umfasst; dass in Übereinstimmung mit der formellen Bekanntgabe der Kaiserlichen Deutschen Regierung alle Schiffe, die die Flagge Großbritanniens oder eines seiner Verbündeten führen, Gefahr laufen, in diesen Gewässern zerstört zu werden, und dass Reisende, die im Kriegsgebiet auf Schiffen aus Großbritannien oder seiner Verbündeten reisen, dies auf eigene Gefahr tun. KAISERLICHE DEUTSCHE BOTSCHAFT, WASHINGTON D. C., 22. April 1915.
Übrigens wurden im Flottenhandbuch von 1914 sowohl die Lusitatia als auch die Mauretania unter „Hilfskreuzer der Royal Navy Reserve“ geführt – was bedeutete, sie waren keineswegs so neutral und harmlos, wie sie taten. Vielmehr fungierten sie, nach See- und Kriegsrecht, als Blockadebrecher. Auch auf dieser letzten Fahrt befanden sich außer Passagieren noch 4200 Kisten Gewehrmunition, 1248 Kisten Geschosshülsen sowie weiteres militärisches Material an Bord. Das machte die Lusitania zu einem Kriegslieferanten und gab ihren Feinden (die vermutlich darüber informiert waren) die Berechtigung, sie anzugreifen.
Wer Waffen liefert, der kann schlecht behaupten, er sei überhaupt nicht in den Krieg verwickelt.
Vielleicht gab es Reisende, die sich die Warnung der Deutschen zu Herzen nahmen und die Mitfahrt verschoben oder ganz aufgaben. Auf jeden Fall befanden sich am frühen Nachmittag des 1. Mai, als das Schiff auslief, 701 Besatzungsmitglieder und 1258 Passagiere an Bord, darunter 463 Frauen und 129 Kinder, davon 14 Kinder in der ersten Klasse.
Eine knappe Woche später, beinah schon zu Hause, vor der Südküste Irlands, wurde die Lusitania kurz nach 14:00 Uhr vom Torpedo getroffen. 1198 Menschen verloren durch diesen Schiffsuntergang ihr Leben, was ihn zur schlimmsten Schiffskatastrophe des ersten Weltkriegs machte. Von den 129 Kindern starben 94. Von den Kindern der ersten Klasse überlebten genau zwei, der fünfjährige Stuart Pearl und seine jüngste Schwester Audrey, ein Säugling.
Die Pearls waren Amerikaner. Major Pearl, ein Sanitätsoffizier, arbeitete bei der amerikanischen Botschaft in London. Er reiste mit seiner Frau, dem kleinen Stuart, der dreijährigen Amy, der einjährigen Susan sowie der ganz genau drei Monate alten Audrey. Die Familie bewohnte in der ersten Klasse drei Luxuskabinen, denn sie führte auch zwei Kindermädchen mit sich, Greta und Alice. Greta war, als das Schiff getroffen wurde, mit den beiden kleinen Mädchen an Deck. Die achtzehnjährige Alice hatte Stuart und das Baby zum Mittagsschlaf hingelegt und sich im selben Raum ins Bett begeben. Deshalb befand sie sich im Nachthemd und hatte ihr langes, sonst hochgestecktes Haar aufgelöst, so dass es über ihren Rücken hing. Sie sprang auf, warf einen Morgenrock über, holte die beiden Kinder aus den Betten, nahm sie auf die Arme und lief so schnell wie möglich mit ihnen die Treppe hinauf.
Die Lusitania sank ziemlich schnell. An Deck rannten sich die Passagiere in Panik gegenseitig über den Haufen. Die Rettungsboote auf der Backbordseite rissen sich aus ihren Halterungen, polterten aufs Deck und erschlugen viele Menschen. Die Boote der Steuerbordseite fielen über die Schiffsaußenseite herab, überschlugen sich und zerschellten teilweise auf der Wasseroberfläche. Einige Boote, die heil aufkamen, blieben leer und dümpelten davon. Das Ehepaar Pearl war über Bord gedrängt worden. Viele im Wasser schwimmende Menschen wurden durch die versinkenden Schornsteine der Lusitania oder durch zerbrochene Bullaugen eingesaugt, als der Riesendampfer unter der Wasseroberfläche verschwand. Überall trieben gekenterte Rettungsboote, dazwischen die Leichen der Ertrunkenen.
Major Pearl und seine Frau hielten sich an schwimmenden Holzteilen fest und versuchten verzweifelt, ihre Kinder irgendwo zu entdecken.
Das Kindermädchen Greta mit den beiden kleinen Töchtern blieb verschwunden. Alice war, bevor der Dampfer versank, mit Stuart und dem Baby im Arm, über Bord gesprungen. Das Wasser war sehr kalt und sie konnte nicht schwimmen, weil sie die Kinder hielt. Doch sie wurde fast sofort von den Insassen eines der Rettungsboote an ihren langen Haaren an Bord gezogen
Erster Glücksfaktor: Langes Haar.
Zweiter Glücksfaktor: Frieden.