Oder doch lieber dessen Abwesenheit. Nach dem Heiligenkalender ist es der Tag von Santa Apollonia, ihr Todestag. Sie wird meistens mit einer soliden Zange in der Hand abgebildet – mit der sind der tapferen Christin im dritten Jahrhundert nämlich sämtliche Beißer ausgerissen worden, garantiert ohne Anästhesie. Die Riesenfeder in ihrer linken Hand ist keine Feder, sondern ein Palmenzweig, Symbol der Märtyrer.
Weshalb wurde die arme Apollonia derart gepiesakt, bevor sie in Ruhe bei lebendigem Leib verbrennen durfte? Natürlich, weil sie die falsche Religion hatte. So etwas erbost die Menschen mit der augenblicklich akzeptablen oder gar keiner Religion. Sie fühlen sich völlig im Recht, dagegen einzuschreiten.
Man könnte fragen, wieso es den empörten Quälgeistern nicht genügt, ihren eigenen spirituellen Ideen nachzugehen und Leute mit anderen Ansichten in Frieden zu lassen – doch so sind Menschen nicht. Es wohnt ihnen das nicht niederzuringende Bedürfnis inne, andere zu bekehren oder umzukneten oder irgendwie in die selig machende Gemeinschaft zu bringen. Wenn das alles nicht möglich ist, möchten sie jedenfalls diejenigen, die sich nicht an ihre Regeln halten, von Herzen verachten oder sogar hassen. Meist werden sie von Ängsten behelligt. Die Angst hat der Teufel erfunden und sie leistet ihm gute Dienste. Selten sind die Menschen sich dessen bewusst. Es ist die Angst vor dem Anderen.
In den Fällen der Religionsbekehrung geht es vordergründig darum, ‚Heiden‘ aus ihrem dumpfen Zustand der Unwissenheit zu befreien. Die Ärmsten befinden sich total auf dem Holzweg, glauben womöglich überzeugt und gern an irgendwen Falschen und fühlen sich manchmal aus Versehen auch noch ausgesprochen wohl damit! Sie halten notwendige Regeln nicht ein (weil sie nichts davon ahnen), essen die verkehrten Sachen am falschen Tag, kleiden sich nicht angemessen und sind überhaupt ganz daneben und damit minderwertiger als WIR – wer immer wir sind.
Vielleicht der bekannteste und beliebteste Song von John Lennon war ‚Imagine‘:
Stell dir vor, es gäbe keine Religionen, keine Ländergrenzen, keinen Besitz … (Letzteres irgendwie witzig als Text von einem Multimillionär, aber egal.) Das Lied schildert, wenn nur alle Grenzen und Traditionen und Rechtsgrundlagen hinfällig werden, dann sind alle happy. Da bekommt der Hörer einen verträumten Blick und empfindet, wie gut er das selbst könnte. Und wie schade, dass so viele andere weit entfernt davon sind.
Ist der Zuhörer ein Religiöser, dann wird er vielleicht zustimmen, dass Grenzen fallen und Besitz an alle aufgeteilt wird.
Ist er ein Besitzender, dann berührt ihn positiv, dass diese schädlichen, Krieg verursachenden Religionen eliminiert werden.
Wird die Menschheit toleranter? Sie arbeitet daran. Sie wird ganz enorm, manchmal sehr aggressiv, wach. Augenblicklich ist es in westlichen Kulturen die Höhe, fremde Ethnien oder gebärfähige Menschen auszugrenzen. Auch Tiere zu futtern oder auszunutzen kommt allmählich ziemlich in Verruf bis hin zu der Frage, ob man sich eigentlich Hunde oder Katzen im Haus halten darf. Viele ehemalige Grenzen weichen auf. Demnächst, wenn es so weitergeht, können katholische Priester heiraten – zehn Jahre später vielleicht auch einander – oder womöglich sogar können (ich träume jetzt) Frauen, also diese Gebährfähigen, in katholischen Kirchen predigen. Falls es die dann noch gibt. Wir werden immer weiter an unserer Sprache ändern und noch viel mehr Worte verbieten, um niemanden eventuell zu verletzen. Unsere liebevolle Grenzenlosigkeit wird grenzenlos. Und unter Umständen verschwindet im Zuge dessen schließlich jede Religion, jede Tradition. Keine Abgrenzung!
Ist dann Frieden?
Nein, so sind die Menschen nicht. Es genügt ein Virus, damit sie sich beschimpfen, rempeln, nicht selten hassen bis aufs Blut. Sie finden immer einen Anlass für „WIR, die recht haben – und diese Missgestalten da drüben, tief im Unrecht“. Sie finden immer einen Grund, sich gegenseitig zu etwas zwingen zu wollen. Es ist entsprechend einfach, sie dahin zu bewegen; eigentlich muss man nur mit Angst arbeiten.
Glücksfaktor: gesunde Zähne.