Am Nebentisch


saß gestern ein Paar. Sie löffelte schon ihre Krabbensuppe, als wir noch auf die Karte warteten. Er trank aus seinem Bierglas.

Sie war ungefähr Mitte 40, aber deutlich jünger: ganz kurzes Haar, riesige Kulleraugen, Himmelfahrtsnäschen. Mit dem hellen Sommerkleid war sie ein wenig schlecht beraten, es gab zuviel Oberschenkel preis. Andererseits war es sicher ehrlich. Und bequem.

Ihn sah ich nur von hinten und manchmal im Profil. Ganz weißes Haar, Ruhe und Statik in den Schultern. Seine Stimme klang tief und gedämpft, nicht zu verstehen. Was sie sagte, hell und hastig, verstand das ganze Restaurant.

Er blickte sie hin und wieder an und häufig aus dem Fenster. Sie schaute nur in sein Gesicht – und in ihr Handy. Sie suchte, sie fand, sie zeigte: „Hier, das ist sie. Aber da war sie noch jünger, ist vielleicht drei Jahre her. Ja. Und hier – warte mal – nein, das ist kein gutes – ich weiß gar nicht – Hier! Das war auf Korsika!“ Reichte ihm jedes Mal das Handy, suchte gleich darauf weiter: „Guck mal, da haben wir gewohnt, bis … Aber hier! Hättest du mich da erkannt? Ach, und auf diesem Bild ist Bosco. Das war ein Jahr, bevor er überfahren wurde. Dies da vorn ist mein Ex. Also der Lorenz. Hab ich dir ja erzählt. Und hier, guck mal …“

Beim Hauptgericht hatte sie erstmal alles gezeigt. Jetzt erzählte sie von Verwandten oder Kollegen. „… und ich so: ‚Warum muss denn das sein?‘ Und sie so: ‚Das ist Vorschrift!‘ – ich lach mich tot! ‚Vorschrift!’“

Sie wollte noch ein Eis, er trank Kaffee. Sie zupfte immer öfter an ihrem Haar, er schaute beinah nur noch aus dem Fenster. Dann fragte sie: „Ja, was meinst du, sehen wir uns demnächst mal?“

Seine dunkle Stimme blieb zu leise, um sie zu verstehen. Ihr Gesicht zeigte, dass er in der nächsten Zeit irrsinnig viele Termine hätte. Vielleicht verreisen musste. Eventuell operiert wurde. Und dass er sich melden würde, wenn das vorbei sei.

Sie sah jetzt etwas müde aus, eher wie Anfang fünfzig, eine Spur verbittert. Er zahlte und sie gingen.

Gleich darauf kam ein anderes Paar an diesen Tisch, etwa im selben Alter. Sie spielte mit einer Rose, die sie neben ihren Teller legte. Er küsste ein paarmal ihre Hand. Beide sprachen ganz wenig, sahen sich jedoch dauernd gegenseitig an. Von ihr konnte ich nur den Hinterkopf erkennen, grau gesträhntes, aufgestecktes Haar. Wie er aussah, weiß ich nicht genau. Er wirkte schön, weil er die ganze Zeit, vor allem mit den Augen, lächelte …

Augenblicklich leben in unserem Land ungefähr 17 Millionen Singles zwischen 18 und 65. Jeder fünfte ist seit mehr als zehn Jahren alleinstehend. Kaum 20% sind zufrieden mit diesem Zustand. Der Rest hofft oder sucht aktiv nach einem Partner.

Glücksfaktor und wirklich einfach nur Glück: dem richtigen Menschen zu begegnen …

 

 

 

 


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