Ausbildungssache


Am 16. Oktober 1913 hatte das Theaterstück ‚Pygmalion‘ von George Bernard Shaw Welturaufführung – interessanterweise, obwohl Shaw ja Engländer war, keineswegs in London, sondern am Wiener Burgtheater

Es handelt von einem arroganten und egozentrischen Sprachwissenschaftler, Henry Higgins, der ein ordinäres Blumenmädchen, Eliza Doolittle, in ein paar Monaten akzentmäßig so zurechtknufft, dass sie in der feinen Gesellschaft als Herzogin durchgeht. 

Daraus entstand natürlich später – nachdem Shwaw tot war und sich nicht mehr dagegen wehren konnte  – das Musical  ‚My Fair Lady‘.

Es gab jedoch lebende Vorbilder für diesen Stoff. Und nicht nur Shaw hat sich daran bedient. Die Geschichte wurde auf unterschiedliche Art von anderen Schriftstellern behandelt, etwa von Gottfried Keller und Gustav Freytag.

Bei den lebenden Modellen für Pymalion handelt es sich um den Professor Jacob Henle und das Nähmädchen Elise Egloff, unehelich und aus einfachen Verhältnissen. Er verliebte er sich in ihr reizendes Gesicht, ihre anmutige Gestalt und ihr warmherziges Wesen, ohne dabei aus den Augen zu verlieren, dass sie gesellschaftlich kilometertief unter ihm stand. 

Die beiden begegneten sich 1841, als er zweiunddreißig war und sie zwanzig. Zwischen ihnen

entstanden ‚heftige Gefühle‘. So heftig, dass Henle nicht mit einer Affaire zufrieden war. Er wollte Elise – man muss sagen: ungewöhnlicherweise – gern zu seiner Frau machen. Bloß reichte es dazu nicht, sie einfach zu heiraten. Gesellschaftlich unmöglich!

Also ließ er sie beinah fünf Jahre lang zur Professorengattin ausbilden; teilweise durch seine Schwestern (die Elise eigentlich nicht so schrecklich zugetan waren) und teilweise in einem Mädchenpensionat, einer Schule für höhere Töchter. Hin und wieder traf er sie für ‚Zwischenprüfungen‘ – und auch  schon mal ein Jahr lang überhaupt nicht, weil er zweifelte, ob die Sache Sinn hatte.

1846 fand tatsächlich die Hochzeit in Trier statt.

Doch schon auf der Hochzeitsreise hustete Elise Blut. Sie schenkte dem Professor noch schnell zwei Kinder, bevor sie 1848 an Tuberkulose starb. Henle machte sich später schwere Vorwürfe, seine Frau durch die rigorose Ausbildung gemartert und seelischen Qualen ausgesetzt zu haben, die ihre Krankheit verschlimmert haben mochten …

Glücksfaktor: dass wir in einer Welt leben, in der ‚Gesellschaftliches Gefälle‘ ziemlich unwichtig geworden ist.


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