Benjamin Bathurst verschwand in Perlberg


am 25. November 1809. Und zwar verschwand er einigermaßen spurlos. Wenn man davon absehen will, dass hier ab und zu ein Skelett gefunden wurde, das womöglich die Überreste des britischen Gesandten darstellt.
 
Benjamin Bathurst war erst 25, als er verloren ging. Er hinterließ in England eine junge Ehefrau und eine kleine Tochter. 
 
Er war ein sanfter, zurückhaltender, hübscher junger Mann, der große Bruder übrigens der Lyrikerin Caroline de Crespigny.
Das war eine bemerkenswerte junge Dame, die in ihrer frühen Jugend eine kurze Affäre mit Lord Byron hatte (der offenbar keine intelligente, selbstständige junge Frau ausließ). Caroline war dunkelblond, schwanenhalsig und schlagfertig. In diesem kurzen Augenblick der Geschichte gab es mehrere solcher sehr emanzipierten, energischen Frauen, die überwiegend taten, was sie wollten – bevor das Biedermeier anbrach und sie wieder als Heimchen zurück an den Herd scheuchte.
 
Und natürlich war Caroline, das hatten wir uns schon gedacht, befreundet mit den Shelleys.
Sie übersetzte auch Bücher, hauptsächlich aus dem Deutschen. Denn mit Deutschland hatte die Familie Bathurst irgendwie eine bedeutsame Verbindung.
 
Carolines großer Bruder Benjamin also war hier in diplomatischer Mission unterwegs.
Das war die Zeit der Eroberungsfeldzüge Napoleons in Europa, und England wollte dem Kaiser von Österreich, Franz I., vorschlagen, Frankreich den Krieg zu erklären. Das britische Königreich würde ihm gegebenenfalls beistehen. Benjamin schilderte und beleuchtete die Sache von allen Seiten und überzeugte Kaiser Franz. Der wurde Napoleon gegenüber, mit dieser Rückendeckung, frech.
Leider ging die Sache fürchterlich daneben. Österreich erlitt eine grässliche Niederlage am 6. Juli 1809 bei Wagram, Napoleon gewann mal wieder. Die Engländer hätten dem armen Franz ja gern beigestanden, wenn sie nicht so weit weg gewesen wären … 
Weit weg wünschte sich nun auch Benjamin Bathurst. Er hatte seine Mission erfüllt, dass die Schlacht verloren wurde, war nicht seine Schuld. Er durfte nach Hause fahren. Im Prinzip hätte er sich nach Westen bewegen müssen – doch das war nicht empfehlenswert: im Westen, zwischen ihm und seiner Heimatinsel, lag Frankreich.
Benjamin Bathurst hielt es für sicherer, ein bisschen mehr Zeit zu investieren und zunächst quer durch Deutschland zu reisen, eher ein wenig östlich als westlich und gleichzeitig Richtung Norden. Er verfolgte den Plan, Hamburg zu erreichen und sich von dort aus, ohne Frankreich weiter zu belästigen, über die Nordsee und den Ärmelkanal nach England einzuschiffen.
Um noch sicherer unterwegs zu sein, nahm er einen Namen an, der seine Herkunft nicht verriet: Baron de Koch. Er fuhr, da die Eisenbahn noch nicht erfunden war, in Kutschen. Das beanspruchte Zeit. 
Am 25. November kam ‚Baron de Koch‘ in der damals idyllischen kleinen Stadt Perleberg an, westlich von Berlin. Er ließ die Pferde wechseln und setzte sich indessen zu einer Mahlzeit in das Gasthaus ‚Weißer Schwan‘. Nach dem Essen begab er sich in ein Nebenzimmer, wo er einige Brief schrieb. Dann wurde ihm gemeldet, es sei mit frischen Pferden angespannt, und er verließ den Gasthof –  um, auf dem kurzen Weg zur Kutsche, abhanden zu kommen. Das war am frühen Abend, um diese Jahreszeit bereits stockfinster.
Niemand fand irgendetwas: keine Fußabdrücke, kein Blut, keine Haarbüschel, keine Kampfspuren. Nichts. Benjamins Verschwinden blieb ein Rätsel.
 
Glücksfaktor: Zu wissen, wo diejenigen, die wir lieb haben, sich gerade aufhalten …
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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