Am Vormittag des Montag, 29. Januar 1979, befanden sich zwei Mitglieder der irischen New-Wave-Band The Boomtown Rats, Bob Geldof und Johnnie Fingers, in einem amerikanischen Radiosender im State Georgia für ein Interview. Zwischen der Unterhaltung mit dem Radiomoderator wurde eine ihrer Platten gespielt – und gleichzeitig hörte Geldof nebenan einen Fernschreiber schnattern. Er las neugierig den Textbogen, den das Gerät ausspuckte und erfuhr, dass ein Mädchen in San Diego in Kalifornien gerade damit beschäftigt war, aus dem Schlafzimmerfenster hängend mit einem halbautomatischen Gewehr auf die Menschen vor der gegenüberliegende Schule zu schießen.
Das war die damals 16jährige Brenda Ann Spencer, ein zierlicher, sehr schlanker Teenager mit Sommersprossen, ellbogenlangem leuchtend rotem Haar, einer kleinen Stubsnase, dunkelbraunen Augen und Brille. Da Brenda Ann, wie Nachbarn später berichteten, häufig in den Gärten auf Eichhörnchen geschossen hatte, war sie inzwischen recht treffsicher. Sie verwundete acht Schulkinder, tötete den Schulleiter, der den Kindern zu Hilfe eilte, erschoss den Hausmeister, der dem Direktor zu Hilfe eilte, verletzte einen Polizisten, der beiden zu Hilfe eilte und hörte nach ungefähr einer halben Stunde und 36 abgegebenen Schüssen auf, weil endlich jemand auf den Einfall kam, mit einem Müllauto ihr Sichtfeld zuzuparken.
Danach verschanzte sie sich im von Polizei umstellten Haus und rief aus dem Fenster, sie würde nur schießend herauskommen. Ein Lokalreporter hatte die Idee, Telefonnummern der Gegend anzurufen und erwischte zufällig auch die Nummer der Spencers – Brenda Ann nahm wirklich den Hörer ab. „Warum? Sag mir, warum?!“, fragte der Reporter. Und Brenda Ann erwiderte nach kurzem Nachdenken: „Ich mag keine Montage.“
Sechs Stunden später – und weil man ihr ein Frühstück vom Burger King versprach – ergab das Mädchen sich. Es war nichts zu Essen im Haus, nur Schnaps, und sie hatte inzwischen Hunger.
Bei ihrer ersten Vernehmung erklärte sie: „Es gab eigentlich keinen Grund. Es hat halt Spaß gemacht. Die Kinder waren einfache Ziele, als würde man Enten im Teich schießen.“ Außerdem fand sie, ihre Tat hätte ‚diesen blöden Tag etwas aufgelockert‘.
Sie bekannte sich schuldig, entging jedoch der Todeszelle, weil sie minderjährig war und wurde zu ‚zweimal 25 Jahren bis lebenslänglicher Haft‘ verurteilt.
Bob Geldof war fasziniert von diesem Ereignis und vor allem von Brenda Anns Motiv – oder besser ihrem Nicht-Motiv. Er machte daraus den größten Hit der Boomtown Rats und den größten Erfolg seiner Laufbahn: I Don’t Like Mondays:
Ein Siliconchip in ihrem Kopf ist überlastet-
sie sorgt dafür, dass heute niemand in die Schule geht –
und Daddy versteht es nicht –
er sagte immer, sie war doch sein Goldmädchen –
er kann keine Gründe sehen,
denn es gibt keine Gründe…
Mutter ist schockiert,
Vaters Welt ist erschüttert.
„Sag mir warum?“
„Ich mag keine Montage! Ich möchte den ganzen Tag niederschießen …“
Das, was Geldorf so beeindruckte, die scheinbar absolute Sinnlosigkeit der schrecklichen Tat, die sich jeder Erklärung entzieht, hat er in seinem Song wunderbar dargestellt. Es klingt so, als sei ein ganz normales junges Mädchen aus bürgerlichem Haus, geliebt von den Eltern, urplötzlich, aus heiterstem Himmel, aus Langeweile, durchgeknallt, um zu morden und hinterher eiskalt zu bemerken, das hätte Spaß gemacht.
Aber ganz so war es nicht.
Zunächst mal kam Brenda Ann keineswegs aus einem heilen Haushalt. Ihre Eltern waren geschieden, sie lebte allein mit ihrem Vater in einem Haus, in dem es gerade nichts zu essen gab. (Weshalb man sie mit Burger King locken konnte.) Stattdessen fand die Polizei eine erstaunliche Menge leerer und voller Schnaps- und Bier-Flaschen. Die Wohnung sah recht verwahrlost aus, es gab nur wenige Möbel – vor allem kein Bett. Brenda Ann und ihr Vater schliefen gemeinsam auf einer Matratze, die auf dem Boden lag. An diesem Montagmorgen hatte das Mädchen, statt zu frühstücken, ihre Pillen gegen epileptische Anfälle und Depression mit etwas Whiskey hinuntergespült, bevor sie zum Gewehr griff.
Brenda Ann war in der Schule unbeliebt gewesen, eine Einzelgängerin, teilweise sehr begabt und teilweise ständig wie im Schlaf. Sie schwänzte häufig den Unterricht. Als sie fünfzehn war, also im Jahr davor, hatte eine Einrichtung für Problemschüler ihren Vater darüber informiert, dass sie selbstmordgefährdet sei. Im Dezember 1978, kaum zwei Monate vor dem Massaker, empfahl ein psychiatrisches Gutachten, sie wegen ihrer Depressionen in eine psychiatrische Klinik einzuweisen. Ihr Vater verweigerte dazu jedoch seine Zustimmung. Stattdessen schenkte er dem Mädchen zu Weihnachten die Flinte. Brenda Ann sagte später darüber: „Ich hatte mir ein Radio gewünscht, und er kaufte mir das Gewehr. Irgendwie dachte ich, er wollte, dass ich mich damit umbringe …“
Sie sagte auch, sie hätte gehofft, dass die Polizei sie erschießen würde, wenn sie das Haus verließ, denn sie habe vorher bereits ein paarmal vergeblich versucht, sich selbst zu töten.
Brenda Ann Spencer erlebt ungefähr alle zehn Jahre ‚Anhörungen‘, in denen über ihre eventuelle Enntlassung verhandelt wird. Als sie ungefähr Mitte dreißig war, schnitt sie sich ihr rotes Haar zu einer Bürstenfrisur und erzählte plötzlich, ihr Vater habe sie geschlagen und missbraucht. Als ihr Vater dazu vernommen wurde, meinte er allerdings, das entspreche nicht der Wahrheit.
Inzwischen hat die Täterin des Anschlags auf die Grundschule in San Diego den größten Teil ihres Lebens im Gefängnis verbracht. Im September 2022 wird sie eine weitere Chance erhalten, frei zu kommen. Dann ist sie sechzig Jahre alt. Inzwischen sieht sie dem zierlichen Teeny, der sie mal war, nicht mehr ähnlich. Sie ist sehr füllig und aufgedunsen, vermutlich die Gefängniskost. (Vielleicht gibt es in ihrem Leben auch kaum etwas anderes Nettes als Burger King-Futter.) Man erkennt sie eigentlich nur noch an der Brille und der kleinen Stubsnase …
Glücksfaktor: Weder schöne Möbel noch saubere Teppiche – aber gesunde Elternliebe.