3. Das Schnittmuster


Natürlich ist es ganz, ganz hässlich, berechnend zu sein.

Es lebe die Spontanität!

Ich finde aber trotzdem, ein bisschen Berechnung muss sein. Zumindest, wenn ein größerer Roman mit etlichen Personen und doppelt soviel Komplikationen erschaffen werden soll. Handelnde Personen neigen nämlich dazu, kaum, dass sie erschaffen sind, eigene Wege zu gehen.

Das bedeutet zwar einerseits eine Erleichterung, denn auf diese Art arbeiten die Protagonisten mit. Andererseits muss man sehr aufpassen, dass sie nicht völlig vom Weg abkommen, ohne Rücksicht auf belletristische Regeln. Es könnte dadurch passieren, dass ein Roman zu lebensnah  wird. Dann gibt es, wie im wirklichen Leben, unglaubliche Zufälle und haarsträubende Ereignisse. Und dann beklagt sich der Leser, das sei alles völlig unglaubwürdig und konstruiert.

Ich habe schon Stunden verbracht, in denen ich mit einer meiner Romanfiguren ausdiskutierte, wozu sie eigentlich fähig ist und wozu nicht. Manchmal haben sie einfach recht: sie sind so nicht angelegt und würden dies und jenes vermutlich nicht tun. Oder eben doch. Alles Andere wäre nicht stimmig.

Und trotzdem muss schon klar sein, wer der Boss ist. Wenn ich die Absicht habe, einen Krimi zu schreiben und mein unheimlicher Mörder, der nur seine Katzen liebt, überzeugt mich nach dem zweiten Kapitel davon, dass er zu keiner Untat fähig ist – dann wird jedenfalls kein Krimi draus.

Um zur Handarbeit als Metapher zurückzukehren: strickt jemand einen Pullover mit Zopfmuster,  dann braucht er eine Strickanleitung, sonst wird das nichts mit den Zöpfen. Will ich ein Abendkleid schneidern, dann benötige ich ein Schnittmuster mit entsprechender Vorgabe, sonst zerschneide ich den Stoff und kann ihn nur noch zum Fensterputzen benutzen.

Den Entwurf hatten wir ja gestern schon angefertigt: ein Exposé, also die Grundidee, ein wenig breitgetreten. Jetzt gehen wir mehr ins Detail.

Meine persönliche Methode für ein Romanschnittmuster ist ein Raster. Ich liebe Raster und Listen und Kästchen und Struktur. Das liegt daran, dass ich einen Jungfrau-Aszendent hab. (Aber das ist jetzt Astrologie.)

Früher habe ich so was auf einem Zettel gemalt. Inzwischen kann ich es im Computer. Mein Raster enthält so viele Kästchen, wie ich Kapitel plane. Dann schreibe ich in jedes Kästchen, was in diesem Kapitel ungefähr passieren muss. Nicht alle werden sofort gefüllt. Immerhin weiß ich, wie es anfängt und wo wir im letzten Kapitel ankommen wollen, und ich bin ziemlich entschlossen, zwei dramatische Knotenpunkte eventuell im vierten und im siebzehnten Kapitel geschehen zu lassen. Und die große Liebesszene muss ins dreizehnte! Dazwischen können wir uns auch mal entspannen, ich und meine Figuren und der Leser, indem eben nur was Idyllisches passiert oder wir die Landschaft betrachten.

Und da wir gerade über Astrologie reden: ich mache mir bei jedem Roman eine Personenliste, in der auch das Geburtsdatum der Hauptpersonen steht. Und anschließend kann ich nicht umhin, den Leuten ihr Horoskop zu berechnen. Erstens macht es mir Spaß und zweitens sagt  es noch etwas über den jeweiligen Charakter aus. Wobei ich natürlich von vornherein weiß: Diese Dame mit der  warmherzigen, sinnlichen Natur und der angenehmen Singstimme kann nur Anfang Mai geboren sein, im Stier – oder so ähnlich.

Schließlich muss recherchiert werden. Auch schöpferische Arbeit ist Arbeit. Ich MUSS wissen, wie eine Kirche aussieht, um die herum und in der mitten drin meine Heldin verzweifelt um neuen Lebensmut ringt – ich MUSS wissen, ob es das kleine Café an der Elbe, wo sich das Paar heimlich trifft, zu dieser Zeit überhaupt schon gegeben hat. (Aber das mag anderen Schriftstellern mit anderem Aszendenten am Stert vorbeigehen.)

Das bedeutet, ich besitze, bevor der Roman geschrieben wird, bereits eine stattliche Anzahl von bedrucktem Papier und eine dicke Portion Bytes im Computer. Mein Material.

Glücksfaktor: Nun kann es richtig losgehen!


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