Das Wasserschloss


Windischleuba soll angeblich keine Gespenster beherbergen. Jedenfalls hat das die blonde Maid behauptet, die wir fragten.

Keine Gespenster? Nicht mal der kleinste Geist? Das haben Ernst und ich aber sehr bezweifelt. Seit tausend Jahren steht da so ein großes Gemäuer und sammelt Zorn und Stolz, Neid und Eifersucht und all solche Sachen, ohne, dass die manifestierten Emotionen nachts umherrumpeln? Na – ! Alleine das geschnitzte Bett, in dem wir lagen, sah so aus, als wären in ihm seit dreihundert Jahren Menschen geboren und angefertigt worden und gestorben! Da bleibt doch was zurück?

Und natürlich – irgendwann, mitten in der Nacht, wachte ich auf, weil der Löwe neben mir anfing, zu jammern! Es klang nach höchster Not – vermutlich träumte er, dass sie ihn aufs Rad flochten. Oder der Henker mit dem Beil war hinter ihm her. Ich rüttelte den armen Mann und versuchte, sein Leben zu retten, indem ich ihn in die harmlose Gegenwart zurück holte. Dafür war er zwar dankbar, meinte jedoch, es habe sich durchaus um keinen Albtraum gehandelt. Vielmehr hätte er im Schlaf versucht – zu singen …

Wir erhielten ein erstklassiges Frühstück, in einem großen Raum neben der Küche, mit Schwertern und Rüstungsteilen geschmückt. Ich war zuerst satt und ließ mir vom Löwen den Zimmerschlüssel geben, um mich für unsere Fahrt nach Leipzig zurecht zu machen. Ich glaubte, genau zu wissen, wo unser Zimmer sich befand. Die Wendeltreppe hinauf, nicht wahr, und dann auf dem zweiten Absatz um die Ecke … Oder war es doch der erste Absatz? Oder der dritte? Und wo führte dieser Flur hin? Und wieso sah alles völlig anders aus als noch vor einer halben Stunde? Und würde ich Ernst und den Löwen je wiedersehen?

 

Eigentlich hab ich keinen schlechten Ortssinn, normalerweise … Aber so ein Schloss ist wirklich groß.

Da kam der Löwe irgendeine Treppe hoch und ich lief in diese Richtung und zwitscherte dies und das über die Buchmesse und ließ mich von ihm zum Zimmer bringen. Hätte ich jahrelang nicht gefunden!

Als wir am Abend aus Leipzig zurück waren, haben wir unsere Wünsche aufgeschrieben und im Schlosspark an einer geschützten Stelle verbrannt. Immerhin war der 21.3., also Wunschtag.

Obwohl die Bäume noch kahl waren, fühlte sich die Luft ganz warm an, fast wie an einem Sommerabend. Deshalb sind wir auch eine Weile in der Abendsonne an der Pleiße entlanggegangen, bevor wir auf’s Köstlichste im Rittersaal neben der Küche gespeist haben.

Glücksfaktor: Ein Löwe mit eingearbeitetem Ortssinn. Auch, wenn sein Gesang sich manchmal etwas gefährlich anhört …


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