Deichmärchen


Jetzt haben mich einige Leute gefragt, was für Märchen der Löwe mir beim Wandern wohl erzählt, damit ich meine Füße vergesse.

Also, das gestern haben wir uns gegenseitig erzählt. Immer mal jeder ein paar Minuten. Der Löwe fing an: „Es war einmal ein König, der hieß Stanislaw. Und seine Frau, die gute Königin, hieß Stanislawine …“ (Der Löwe hat ein großes Talent, Namen zu erfinden.)

Wir verpassten dem Königspaar eine Tochter, die schöne Prinzessin Meckdalene, von ihren Eltern zärtlich Mecki gerufen. Vom Volk und ihren Hofdamen dagegen Meck-Meck genannt, weil sie unerhört zickig war.

Eines Tages kam ein Zauberer zu Besuch ins Schloss, dem ging die Prinzessin ganz gewaltig auf die Nerven. Und auf seinem Nachhauseweg ärgerte er sich rückwirkend noch mal derart über die dumme Zicke, dass er einige Formeln vor sich hinmurmelte und den Zauberstab schwenkte. Anschließend verwandelte er sich selber in einen Baum und machte ein paar Wochen Urlaub.

Die Prinzessin jedoch fand plötzlich, dass ihr teures Kleid nicht mehr so recht passen wollte, weil sie nun eine komplett andere Figur besaß. Und ihre goldenen Haarspangen hingen an einem Paar kleiner Hörnchen: Meckdalene war in eine Ziege verwandelt worden!

Zwar schickte König Stanislaw seine Soldaten hinter dem Zauberer her, doch die fanden ihn natürlich nicht, weil sie den Baum vor lauter Wald nicht entdecken konnten.

So blieb die Prinzessin, was sie immer schon gewesen war: eine richtige Zicke.

Stanislaw und Stanislawine konferierten einige Monate lang mit ihren Ratgebern und Ministern und googelten sich alle juristischen Möglichkeiten zusammen. In ihrem Königreich legte man Wert auf männliche Thronfolge. Da Mecki ihr einziges Kind war, hatte man immer gehofft, sie wäre geschickt zu verheiraten, um durch den Schwiegersohn einen erfolgreichen Nachfolger zu erhalten. Bisher hatten sich auch einige Königssöhne der Nachbarländer für die schwierige Meckdalene interessiert, denn Stanislwas Königreich war blühend und wohlhabend. Aber ob die deswegen eine echte Ziege geheiratet hätten? Vorsichtige diplomatische Erkundigungen ergaben, dass nein, eher nicht ..

Also besann man sich auf einen Ausweg. In diesem Fall wäre ein nichtadeliger, schlicht rotblütiger Schwiegersohn als Thronfolger genehm, vorausgesetzt, er hätte die erforderlichen politischen und strategischen Talente und keine besondere Abneigung gegen Sodomie.

Dies wurde im Land proklamiert. Gleich darauf stürzten sich Hunderte ambitionierter junger Männer auf das Schloss, alle regierungstechnisch begabt und enorm tierlieb. Denn das Reich, wie gesagt, war ein blühendes.

Unter den Anwärtern befand sich auch ein Schneidergeselle aus der Rheinland-Pfalz-Gegend. Dort wachsen bekanntermaßen talentierte Kerlchen. Der junge Schneider war entsprechend intelligent und eloquent. Und er hatte Zuhause in seinem Dorf die Ziegen melken dürfen! (Allerdings interessierten ihn über das Melken hinaus bisher nur Menschenmädchen.)

Flugs kam der Schneider durch sämtliche Vorprüfungen und Nachprüfungen – und dann wurde auch schon die Hochzeit angeleiert. Seine Familie, uneingeweiht in die Tatbestände, wunderte sich etwas über diese Eile.

Die Ziegenprinzessin trat ungemein verschleiert auf. Sie wirkte wie eine weißumwickelte Kommode mit Hörnern. Es gab ein wundervolles, stundenlanges Festmahl mit Markklösschensuppe und Tomatensuppe und Melonensuppe und Grießsuppe und Fischsuppe und vielen Salaten und gebratenen Hähnchen und Pilzpastete und Spinatnudeln und Schokoldenpudding und Weinschaumsauce und Mandelkeksen zum Mocca. (An dieser Stelle des Märchens hatten der Löwe und ich richtig Hunger. Die Liste der Lebensmittel war auch noch viel länger. Ich hab sie hier etwas gekürzt.)

Nun war Schlafenszeit. Der tapfere Schneider duschte ausgiebig, bevor er sich ins Schlafgemach begab. Er war ein reinlicher Mensch und ein rücksichtsvoller und Sauberkeit ist immer gut.

Aber irgendwann konnte der Boiler im Schloss nicht mehr, es gab nur noch kaltes Wasser und der Schneider sah ein, dass er nun zu seiner Ziege gehen musste.

Er klopfte höflich an, trat ein – und wurde von zwei kleinen Hörnern auf das große Himmelbett geschubst. Meckdalene gefiel der Mann nämlich außerordentlich gut. Keiner der blaublütigen Prinzen der Umgebung war annährend so reizend. Gleich darauf schlug die Turmuhr zwölf – und da verwandelte sich doch die Ziege in eine richtige Prinzessin zurück!

Sie hatte nichtmal was an.

Der Schneider erfuhr, dass Meckdalene jede Nacht für drei Stunden ganz sie selbst sein durfte. Übrigen war sie inzwischen durch das ständige Zicke-sein-müssen menschlich sehr viel ansprechender geworden, richtig nett.

So lebten sie glücklich und zufrieden. Der Schneider regierte das Königreich auch nicht schlechter als alle anderen vor ihm. Seine Frau graste tagsüber im Schlossgarten, in dem nun viele Kräuter und Salate angepflanzt wurden. Ihre drei nächtlichen Stunden nutzten sie redlich, so dass sie eine Menge Nachwuchs erzielten. Die tagsüber Geborenen wurden niedliche Zicklein. Die beiden zufällig in den Stunden nach Mitternacht Geborenen sehr menschlich und dadurch etwas weniger sympathisch, aber voll regierungsfähig.

Und wenn sie nicht gestorben sind …

Glücksfaktor: Phantasie, wenn einem die Füße wehtun.

 


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