Der mächtigste König im Luftrevier


ist bekanntlich der Adler. Wie der Löwe ist er eine Symbolfigur, wie der Löwe findet der Adler in vielen Legenden und auf vielen Wappen statt.

Eigentlich gibt es nur einen, der ihm über ist: das allermächtigste, rücksichtsloseste und gefährlichste Raubtier der Welt. Das konnte ihn zwischenzeitlich fast ausrotten (unter anderem durch die Vergiftung mit DDT, für das gerade Adler besonders anfällig sind) und hat ihn dann, so funktioniert der Mensch manchmal, unter Naturschutz gestellt. Seitdem konnten sich die Bestände sehr erholen. Immer noch darf man sie jedoch nicht töten; Indianer, die Adlerfedern benötigen, müssen bei den Behörden darum nachfragen.

Die Steigerung von Adler ist Weißkopfseeadler. Der ist absolut riesig und majestätisch, furchteinflössend und schön – und das Wappentier der Vereinigten Staaten von Amerika. Seine Flügelspannweite kann bis zu 2,30 Meter betragen.

Der Weißkopfseeadler ist kein Vegetarier, das würden wir auch nicht von ihm erwarten. Er bedient sich natürlich vor allem im Wasser – obwohl er hin und wieder gern ein Kaninchen verputzt – an Fischen und Seevögeln. Ganz besonders lecker, das kann der Mensch nachempfinden, kommt da ein zartes, saftiges Vogelbaby. So wie etwa ein Seetaucherküken.

Seetaucher besitzen meine Sympathie. Das hat was damit zu tun, dass ich sie zweimal im Leben hören durfte: einmal in Schweden und einmal in Kanada. Sie verfügen über ganz unglaubliche, eindrucksvolle Stimmen, derart unverwechselbar, dass ich den zweiten Seetaucher am Ruf erkannte, Jahrzehnte, nachdem ich den ersten gehört hatte. (Obwohl ich zugeben muss, dass ich ihn zuerst fast für einen Coyoten gehalten hätte. Dessen Gesang klingt ähnlich aufregend.)

Seetaucher sind auch nicht gerade mickrig, zwischen einem halben und einem Meter Körperlänge. In erster Linie Wassergeschöpfe und grandiose Taucher (bis zu 75 Meter tief, bis zu acht Minuten lang), fühlen sie sich ebenso in der Luft zu Hause. Die Erde ist, vorsichtig gesagt, nicht ihr Element. Ihre weit hinten angesetzten, stummeligen Schwimmfüße eignen sich kaum zum Laufen, mehr zum Hopsen: eine anstrengende Art der Fortbewegung für ein bis zu 6 Kilo schweres Tier.

Seetaucher sind treue Partner, die Wissenschaft nennt das Monogamie. Sie bebrüten meistens zwei, selten drei Eier, manchmal nur eins. Die Küken sehen ziemlich niedlich und mit dem nach oben gebogenen Schnabel etwas stubsnasig aus. Seetaucher brüten nicht jedes Jahr. Vielleicht sind ihnen ihre Einzelkinder oder Zwillinge wertvoller als anderen Vögeln ein ganzes Nest voll? Schwer zu sagen.

Gewalt, hörte ich erst vor einigen Tagen wieder, ist immer falsch. Es gäbe nichts, dass den Einsatz von Gewalt rechtfertigt.

Kürzlich, im Mai 2020, fand man in Maine, dicht an der kanadischen Grenze, einen ermordeten Weißkopfseeadler. Er schwamm auf dem Bauch im Wasser, die mächtigen Flügel ausgebreitet. Ganz in der Nähe dümpelte ein ebenfalls totes Seetaucherküken, beschädigt von den Adlerkrallen.

Der große Vogelkadaver wurde geröntgt und dabei eine tiefe Stichwunde mitten im Herzen entdeckt. Die Waffe konnte identifiziert werden; sie entsprach ganz den Maßen des dolchartigen Seetaucherschnabels.

Glücksfaktor, manchmal: Genugtuung.

 

 

Hier ist der Ruf eines Seetauchers (Englisch: Loon) zu hören:


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