Menschenfresser*In aus dem Wasser


Zwischen dem 1. und dem 12. Juli 1916 wurden fünf Personen an der Küste von New Jersey von einem weißen Hai angegriffen. Vier starben, halb aufgefuttert, vor allem durch den Blutverlust. Das fünfte Opfer wurde eben noch rechtzeitig von Helfern auf einen Bootssteg gezerrt, überlebte mit schweren Fleischwunden und verbrachte einige Monate im Krankenhaus.

Im Sommer 1916 suchten ungewöhnlich viele Menschen Entspannung am Meer, denn sie hatten eine Menge Stress. Abgesehen davon, dass man sich mitten im ersten Weltkrieg befand (die Amerikaner bildeten sich inzwischen ein, vor ihrer Ostküste befänden sich bereits deutsche U-Boote! Übrigens hatten sie damit völlig recht. Ab Februar 1917 begannen diese versteckten Kriegsschiffe, Tausende amerikanischer Handelsschiffe zu versenken ) – abgesehen davon gab es gerade eine Hitzewelle und eine Polio-Epidemie. Wer irgend konnte, verließ die heißen Städte New York und Philadelphia, packte sich an den Strand und plätscherte im Wasser. Das zumindest war, dachte man, völlig ungefährlich.

Bis zu diesem ersten Juli, einem sonnigen Samstag in Beach Haven. Ein fünfundzwanzigjähriger Urlauber wollte vor dem Abendessen noch ein wenig schwimmen und begann plötzlich, laut zu brüllen. Andere Badegäste fragten sich noch, was los sein mochte, denn der Schwimmende hätte an dieser Stelle, kaum mehr als einen Meter Tiefe, gut stehen können – als das Wasser um den jungen Mann sich rot färbte. Ein Retter eilte zu Hilfe und musste nun mit dem, wie er es schilderte, fast drei Meter langen Hai um dessen Abendessen kämpfen. Erst, nachdem mehrere andere Männer sich an dem Gezerre beteiligten, gab der Fisch auf und entfernte sich. Sein Opfer war eine knappe Stunde später tot.

Woran müssen wir in einem solchen Fall vor allem denken? Richtig, an die wirtschaftlichen Folgen, die Urlaubsorte hätten erleiden können. Die Presse berichtete zunächst sehr zurückhaltend und etwas zeitverzögert.

Sofort stritten sich Experten jeder Sparte darum, wer den Badenden wohl wirklich attackiert hatte. Ein Hai in dieser Gegend? Unmöglich! Eher ein Thunfisch oder eine große Meeresschildkröte. Die Kiefer eines Hais, hieß es, seien nicht kräftig genug, um Menschenknochen zu zerbeißen. Es gäbe in dieser Gegend auch gar keine Haie. Übrigens würden Haie niemals von sich aus Menschen anfallen, falls sie nicht völlig über Gebühr provoziert worden wären.

Die Strände blieben geöffnet, die Menschen schüttelten den Kopf über diesen merkwürdigen Fall und kühlten sich weiter im Wasser ab. Fünf Tage später, am Donnerstag, dem 6. Juli, wollte ein 28jähriger Hotelangestellter ein wenig hinausschwimmen. Das war in Spring Lake, etwa 70 Kilometer vom Ort des ersten Haiangriffs entfernt. Der junge Mann war ein geübter Schwimmer, der vorher in einem kalifornischen Hotel gearbeitet hatte und dort manchmal problemlos zwischen Haien umhergeschwommen war. Als ihn jetzt einige Rettungsschwimmer auf den Fall in Beach Haven ansprachen, winkte er deshalb nur ab: Seiner Erfahrung nach flüchteten Haie vor schwimmenden Menschen, spätestens, wenn man auf’s Wasser schlug oder sie anschrie.

Als der junge Mann sich ungefähr 120 Meter vom Strand entfernt befand, begann er, auf das Wasser zu schlagen und zu schreien. Die beiden Rettungsschwimmer stiegen in ein Boot und ruderten hin, um sich vielleicht jedenfalls den verscheuchten Hai anzusehen. Doch der junge Schwimmer besaß inzwischen keine Beine mehr und nur noch einen Teil seines Unterleibs. Er starb, bevor sie mit ihm den Strand erreichten.

Jetzt berichtete die Presse doch, sogar die New York Times, und an der Küste wurde zum ersten Mal Haialarm gegeben. Allerdings erklärte ein Zoologe schlüssig, kein Hai sei in der Lage, die Beine eines ausgewachsenen lebenden Menschen abzutrennen. Das müsse etwas anderes gewesen sein.

Eine knappe Woche später, 35 Kilometer entfernt von Spring Lake, in New Jersey, erblickte ein pensionierter Kapitän einen ungefähr zweieinhalb Meter langen Hai in einem Flußlauf, einige Kilometer landeinwärts. Der alte Seemann versuchte, die Stadtbewohner zu warnen. Aber, wie es in einem guten, spannenden Drehbuch immer steht: Es glaubte ihm keiner.

So badeten sechs Jungen im Fluss, als der Hai auftauchte, sich einen zwölfjährigen schnappte und unter Wasser zog. Die anderen Jungen sahen den großen Fisch und beschrieben später seine helle Farbe. Im Übrigen rannten sie in die Stadt und holten Hilfe. Einige Männer in Booten suchten stundenlang nach dem Körper des Verschwundenen. Weil das so gar nichts wurde, fingen schließlich einige an, zu tauchen. Dadurch fanden sie tatsächlich die Reste des Körpers – doch als der Taucher, ein 24-jähriger Mann, mit der Leiche nach oben schwamm, griff der weiße Hai ihn an. Das geschah derart schnell, dass die anderen Männer ihren Kameraden wiederum nur teilweise aus dem Wasser holen konnten. Er starb einige Stunden später.

Am selben Nachmittag, eine halbe Stunde später, fiel der Hai noch einen 14-jährigen an, der einige Kilometer flußabwärts badete. Wenige Sekunden vorher waren Männer eingetroffen und standen auf einem Bootsanleger, um die Badenden vor dem Hai zu warnen. Als sie den strampelnden Jungen im sich rot färbenden Wasser erblickten, zogen sie ihn auf der Stelle zu sich nach oben – gegen den Widerstand des Hais. Dieses letzte Opfer überlebte, obwohl sein Bein große Teile einbüßte.

Inzwischen gab es keine Geheimhaltung mehr. Die eben noch ausgebuchten Hotels verloren rapide ihre Gäste. Zum Teil reisten die vorzeitig ab, zum Teil stornierten sie ihre Buchungen. In einigen Badeorten ging der Umsatz um 75% zurück. Daraufhin gab es eine Pressekonferenz mit Wissenschaftlern, die ihr Erstaunen über die sonderbaren Geschehnisse ausdrückten. Sie betonten, wie extrem unwahrscheinlich es sei, dass sich ein solcher Vorfall wiederhole. Schwimmer sollten halt in Ufernähe bleiben. Schließlich setzten einige Bürgermeister – vielleicht mit einem kleinen Augenzwinkern – eine Belohnungssumme für den Fang des bösen Hais aus. Ganz klar schien es immer noch nicht, ob nicht vielleicht etwas ganz anderes Ursache der tragischen Unfälle gewesen war.

Und dann machten, am 14. Juli, zwei Männer einen Angelausflug, einige Meilen vom letzten Haiangriff entfernt, in der Raritan Bay. Sie zogen ein Fischernetz hinter ihrem Motorboot her, um Köderfische zu fangen. Sehr unvorhergesehen verfing sich in diesem Netz ein ungefähr zweieinhalb Meter langer heller Hai, der sich nun bemühte, das Boot unter Wasser zu ziehen. Als das nicht funktionierte, griff er die Männer im Boot an. Einem von beiden gelang es, das Tier mit einem Ruder zu erschlagen.

Weil er sich auf’s Präparieren verstand, wollte der Haitöter den großen Fisch später ausstopfen. Dabei entdeckte er im Fischmagen Menschenknochen. Die wurden von alarmierten Wissenschaftlern mehr oder weniger einigen der Haiopfer der vergangenen Tage zugeordnet. Diese Indizien überführten endlich den Täter.

Außerdem stellte man fest, dass es sich beim Mörder um eine Mörderin gehandelt hatte. Der weiße Hai war ein noch nicht ausgewachsenes Weibchen gewesen. Da kann man lange drüber nachdenken, wieso seine Opfer ausschließlich junge oder sehr junge Männer waren …

Der Autor Peter Benchley machte rund sechzig Jahre später einen Roman aus der Angelegenheit und Steven Spielberg den ultimativen Gruselfilm.

Glücksfaktor, für mich: Wenn ich schon bade, dann bitte in einem ausreichend gechlorten Pool. Möglichst einem Innenpool!

 

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