Die Cholera, das bedrohliche Komma


Die Erreger befinden sich gut verteilt überall auf der Welt in seichten Gewässern, vor allem in warmen Regionen wie Afrika, Asien und Südamerika. Fast immer steckt man sich über verunreinigtes Trinkwasser an, selten direkt von Mensch zu Mensch. Jedes Jahr gibt es immer noch weltweit ungefähr 6 Millionen Cholera-Infektionen. Das betrifft vor allem Gebiete mit schlechten hygienischen Bedingungen. Aber wer infiziert ist, stirbt keineswegs immer. Es gibt sogar Fälle von Ansteckung, die ohne Beschwerden verlaufen.

Meistens fängt die Krankheit mit Brechdurchfall an. Der verläuft so heftig, dass großer Flüssigkeitsmangel eintritt. Dazu kommt Untertemperatur, schließlich Benommenheit, Bewusstseinsstörungen und Hautausschlag. Der Kranke kann jetzt ins Koma fallen.

Im 19. Jahrhundert verbreitete sich die Seuche, die bis dahin ihre Opfer nur in Indien geholt hatte, in mehreren Pandemien ab 1817 langsam, aber unbeirrbar über Asien, Afrika, Russland und Europa. Immer noch sahen damalige Wissenschaftler die Ursache der Krankheit im Miasma, nämlich unreiner, verdorbener Luft.

So ganz falsch lagen sie damit ja auch nicht, es war ihnen nur unbekannt, dass sich in der schlechten Luft winzig kleine Erreger befanden.

Als die Cholera 1832 in London angekommen war, ordnete die Stadt nach den ersten Krankheits- (und Durchfällen) an, alle stinkenden Verschmutzungen aus den Abwasserkanälen in die Themse zu spülen: Sauberkeit ist immer gut. Leider jedoch entnahmen man gleichzeitig das Trinkwasser aus dem Fluss. Das führte zu einem soliden Ausbruch mit 14.000 Toten.

Damals waren zwei Männer den Mikroorganismen auf der Spur. Ein italienischer Anatom mit einer Leidenschaft für Vergrößerungsgläser, Filippo Pacini, und der Engländer John Snow, Chirurg, Forscher und Pionier der Medizin. Pacini entdeckte durch seine Lupe tatsächlich den Cholera-Erreger, ein zappeliges Komma. Als er seine Ansicht veröffentlichte, dass dieses kleine Geschöpf die Krankheit übertragen könnte, hörten sämtliche Kollegen gar nicht hin – mit Ausnahme von Snow, der zustimmte.

John Snow war voller Ehrgeiz und Entdeckerfreude. Er ließ sich sowohl zum Arzt als auch zum Apotheker ausbilden und hörte nie auf, zu forschen

und zu studieren. Er erfand ein Beatmungsgerät für Neugeborene, machte sich einen Namen als Dozent für Rechtsmedizin und entwickelte verschiedene Narkosemethoden derart erfolgreich, dass er Queen Victoria helfen durfte, die Geburten ihrer beiden letzten Kinder schmerzfrei zu überstehen. Schließlich gab es in England kaum einen angeseheneren Arzt als ihn. Er wurde 1856 Präsident der Westminster Medical Society. Und trotzdem lächelten alle anderen Wissenschaftler nur müde, wenn er von diesen Mikroorganismen anfing.

Die fünfte Pandemie der Cholera, 1883 – 1896, kam wieder aus Indien und reiste über Afghanistan nach Russland. Von dort brachten Auswanderer, die nach Amerika wollten, sie in die Hafenstadt Hamburg. Der Sommer war ungewöhnlich heiß und trocken gewesen, das Wasser der Elbe ungewöhnlich warm, ihr Pegel ungewöhnlich niedrig. Gleichwohl stammte von hier das Trinkwasser, leider noch ungefiltert. Bürgerschaft und Senat hatten sich im Rathaus seit Langem um eine Filteranlage gefetzt; es ging natürlich um die Kosten. Die Wasserqualität der Stadt war haarsträubend. Bei einer Untersuchung der Anlage fanden sich sowohl lebende Fische und Würmer im Trinkwasser als auch verschiedene Tierkadaver.
Ein Lübecker Ingenieur, Ernst Reiche, machte dazu ein nettes kleines Gedicht:

Dem Reinen ist Alles rein

Vom Thier in Hamburg’s Wasserrohr
Da kommen 16 Arten vor:
Ein Neunaug‘, Stichling und ein Aal,
Drei Würmer leben in dem Strahl,
Drei Muscheln und drei träge Schnecken
Sich mit der munter’n Assel necken;
Ein Schwamm, ein Moosthier, ein Polyp,
Die dringen lustig durch das Sieb; –
An todten Thieren kommen ‘raus
Der Hund, die Katze und die Maus.
Noch nicht gefunden sind im Röhr
Der Architekt, der Ingenieur.

Die Cholera hatte es, so gesehen, leicht. Sie wurde vor allem zur Krankheit der Armen. Der Senat verbot so lange wie möglich, den Ausdruck Seuche zu benutzen, um die geschäftlichen Interessen zu wahren. Mit anderen Worten: Damit der Handel weitergehen konnte, erfolgte keinerlei Warnung vor der Ansteckungsgefahr. Trotzdem wisperte sich was herum. Wer es sich leisten konnte, verließ hastig die Stadt.

Die potenziellen Opfer mussten bleiben: Menschen, die zusammengeknüllt rund um St. Jacobi und den Michel am Hafen wohnten. Man nannte diesen Bezirk Gängeviertel, weil es hier zwischen den Häusern keine Straßen gab, nur schmale Spalten und hängende hölzerne Verbindungen. Oft ohne Tageslicht wohnten bis zu zehn Personen in einem Zimmer. Auf kleinen Höfen gab es die Toiletten, meistens zwei für acht Familien, vorsichtig gesagt nicht sehr sauber …

Nachdem nichts mehr zu verheimlichen war, lag über der Stadt der Duft von Chlorkalk und Karbol.

Man verteilte Zettel vor allem an die Bewohner der Elendsviertel. Darauf stand, es sollte nur abgekochtes Wasser genossen werden. Gute Idee, aber ziemlich zwecklos, weil nur wenige der Bewohner lesen konnten.

Der zu Hilfe gerufene bekannte Bakteriologe Robert Koch schrieb entsetzt an seine Majestät, den Kaiser: „Ich habe noch nie solche Brutstätten für Ansteckungskeime gesehen wie in den sogenannten Gängevierteln, die man mir gezeigt hat, am Hafen, an der Steinstraße, an der Spitalerstraße oder an der Niedernstraße. Ich vergesse, daß ich mich in Europa befinde.“

Es gab zwei Methoden der Behandlung. Zunächst hatten die Erkrankten dreimal täglich acht Tropfen verdünnte Salzsäure zu schlucken. Darüber hinaus verabreichten die Ärzte gegen den Durchfall – Rizinusöl und Klistiere!

Die Seuche forderte mehr als 8600 Leben. Es gab bald keine Särge mehr, Massengräber mussten geschaufelt werden. Geiz und Profitgier der Pfeffersäcke wurde bestraft, indem für mehrere Wochen nahezu jeder Handel zum Erliegen kam: Man mied die verseuchte Stadt. Das ergab, neben den Menschenleben, empfindliche finanzielle Verluste.

Damit etwas derart Schreckliches (wie diese  finanziellen Verluste) so bald nicht wieder passierte, begann der Senat im Herbst 1892 Teile des Gängeviertels einzureißen. Wohin die plötzlich obdachlosen Mieter hinterher zogen – das war dann ihre Sache …

Robert Koch aber, später Nobelpreisträger, entdeckte jetzt, fast dreißig Jahre nach Snow und Pacini, unter dem Mikroskop wieder dieses zappelige Komma, ein Bazillus. Er war sich völlig sicher, den Erreger den Cholera zu sehen und nun endlich gab es andere Wissenschaftler, die zustimmten.

Nicht alle. Da war zum Beispiel Max von Pettenkofer, Professor für Pathologisch-Chemische Untersuchungen, der die Sache mit dem Komma für lächerlich hielt. Er stritt sich lange, ausgiebig und öffentlich mit Robert Koch, meinte, vielleicht wären da ja so was wie ‚Bazillen‘ im Wasser, aber zuallererst käme es doch auf das Miasma an! Dann trank er öffentlich ein Glas mit Wasser voller Cholera-Bakterien – bekam zur Belohnung ordentlich Durchfall – aber nicht die Cholera. Warum auch immer …

Glücksfaktor: Wissenschaftliche Forschung. Weil sie kein Ende nimmt.

 


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