Die Kartoffel


Ich glaube ja nicht, dass es mein Charme oder meine Schönheit gewesen sind, die den Löwen bewogen haben, mich zu heiraten. Ich denke vielmehr, der magische Moment kam, als er mich damals in Bitburg in seiner Küche dabei beobachtet hat, wie ich Bratkartoffeln herstelle. Jedenfalls hat er hinterher seiner Schwester am Telefon erzählt: „Stell dir vor, sie dreht sie alle um – jede einzelne! Mit zwei Gabeln! Und auf diese Art wird jede Kartoffelscheibe von beiden Seiten knusprig und genau richtig gebräunt!“

Ich liebe Kartoffeln. Das muss genetisch sein: Meine Mutter hat Kartoffeln allerdings noch mehr geliebt. Es war unmöglich, mit ihr in ein chinesisches oder japanisches oder italienisches Restaurant zu gehen. Sie studierte auf der Speisekarte herum und antwortete auf ein freundliches: „Was darf ich Ihnen bringen?“ bereits in beleidigtem Ton: „Haben Sie denn keine Salzkartoffeln?“

Also ich schätze Reis durchaus. Ich mag Nudeln wirklich sehr. Ein knuspriges Brot, um Sauce aufzustippen, ist in vielen Fällen das absolut richtige. Und doch – wenn ich mich ein für alle Mal für eine einzige Beilage entscheiden müsste, wäre es wahrscheinlich die Kartoffel.

Dabei ist sie wirklich viel mehr als eine schlichte Beilage. Was sich alles aus Kartoffeln fabrizieren lässt, ist ganz erstaunlich. Im Trend liegt sie immer noch nicht, obwohl ich glaube, sie ist schon wieder ein Spürchen beliebter als in den letzten dreißig, vierzig Jahren. In dieser Zeit galt sie als absolut spießig. Ein echter Mann sagte mit markigem Lachen, Kartoffeln gehörten in den Keller, bevor er sich noch ein Schnitzel nahm.

Sie gilt als altmodisch; Reis und Teigwaren sind irgendwie cooler und außerdem auch für Leute mit zehn Daumen und wenig praktischem Geschick, für die das Schälen der Kartoffel eine zu anspruchsvolle Aufgabe darstellt, zu bewältigen.

Die sogenannte Speiseindustrie arbeitet solchen Kartoffel-Überforderten in die Hände. Inzwischen wird ein Großteil der geernteten Kartoffeln bereits ‚verarbeitet‘ angeboten, beispielsweise als Trockenflocken für Kartoffelbrei. Da sind dann Emulgatoren, Stabilisatoren, Aromen, Antioxidationsmittel und, wenn man Glück hat, auch Zucker mit drin (Zucker ist überall drin), aber das macht ja nichts, weil man sich das Schälen gespart hat.

Schlechte Köche pflegen zudem die Ansicht, man dürfe keine mehligkochenden kaufen. Argument: „Die werden matschig!“ Weshalb inzwischen (auch nur, wenn man Glück hat) nur noch eine einzige Sorte mehligkochende Kartoffeln zu kriegen sind neben fest- und überwiegend festkochenden. Dabei werden Kartoffelpüree und Kartoffelsuppe aus festkochenden Sorten kleisterig und etwas schleimig. Das ist eine Sache  der Chemie –  die kommt nicht nur in der Liebe, sondern auch in der Küche zum Tragen.

Eins der böswilligen Gerüchte über die Kartoffel behauptet, sie mache dick. Das ist einfach gelogen. Höchstens die Sauce macht dick, in der sie schwimmt. Entsprechende Studien zeigen weitaus höhere Glukose- und Insulinwerte bei Reis- und Nudelbeilagen als bei Kartoffeln.

Sie ist übrigens weder Gemüse noch Frucht sondern, man verzeihe mir das harte Wort, Knolle. Das hört sie verständlicherweise nicht so gern. Insofern darf man sie auch völlig korrekt als ‚Nutzpflanze‘ bezeichnen. Sie stammt aus Südamerika und wurde von den spanischen Eroberern mitgebracht, gemeinsam mit Tomaten, Mais und Paprika, machte es sich jedoch in Europa, mit einiger Verzögerung, heimisch und bequem.

Friedrich der Große hat ihren wahren Wert erkannt, solange sie vor allem noch als Dekoration diente. (Marie Antoinette etwa trug gern zarte Kartoffelblüten im Haar.)

Dem alten Fritz jedoch, der verstand, was die inneren Werte der Kartoffel ausmacht, werden heutigentags immer noch welche auf sein Grab vor Schloß Sanssouci gelegt. Gerade in Preußen herrschte Mitte des 18. Jahrhunderts Hunger durch Kriege, Missernten und Bevölkerungsanstieg. Nachdem der König bei seiner Schwester ein nahrhaftes Kartoffelgericht serviert bekam, fing er an, nachzudenken. Als Ergebnis ließ er erst mal die Knollen, in eine Pflanzanweisung eingewickelt, in Brandenburg verteilen. Das nützte allerdings wenig, die misstrauischen Bauern verzichteten auf den Anbau. Hier galt immer noch Getreide als Haupt- und Grundnahrungsmittel für Brot und Brei.

Da gab Friedrich im März 1756  seinen ‚Kartoffelbefehl‘ heraus. Damit waren alle preußischen Beamten gehalten, den Landwirten zu verklickern:

„…  habt Ihr denen Herrschaften und Unterthanen den Nutzen von Anpflantzung dieses Erd Gewächses begreiflich zu machen, und denselben anzurathen, dass sie noch dieses Früh-Jahr die Pflantzung der Tartoffeln als einer sehr nahrhaften Speise unternehmen …“
 

Brachte immer noch nichts. Bis der alte Fritz in seiner listigen Art eine Menge großer Kartoffelfelder  rund um Berlin anlegen ließ, die von jeweils mehreren Soldaten mit Musketen bewacht wurden. Gleichzeitig wurde das Gerücht gestreut, hier handele es sich um eine exzellente, kostbare Speise, nur für die königliche Tafel bestimmt. Allerdings sollten die Soldaten sich unaufmerksam und verpennt stellen, um Friedrichs trotzigen Untertanen das Klauen zu ermöglichen.

Diesmal klappte es. Etliche Bauern besorgten sich nachts die erlesene (weil verbotene) Knolle, ach nein, Nutzpflanze. Und einige Jahre später gab es in Preußen bereits überall ausgedehnte Kartoffelfelder. Jedenfalls erzählt das eine nette Legende. Und mit dem 19. Jahrhundert war die Kartoffel Hauptnahrungsmittel der einfachen Bevölkerung in Deutschland.

In Irland verlief die Geschichte der Kartoffel noch dramatischer. Sie war, um die Mitte des 19. Jahrhunderts, nicht nur das Hauptnahrungsmittel der armen Bevölkerung, sondern beinah das Alleinnahrungsmittel. Auf der grünen Insel heirateten die Menschen früh und bekamen viele Kinder. Zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert entstand hier geradezu eine Bevölkerungsexplosion, verursacht vor allem durch die Kartoffel. Denn sie war billig anzubauen und sehr ertragreich: Damit war eine Familie schon gut durchzubringen. Weshalb sich auch der kleinste Kleinbauer einen Kartoffelacker anschaffte.

Doch weil auf diesen Äckern jahrzehntelang nichts anderes angebaut wurde, war die Monokultur nach und nach sehr anfällig für Schädlinge und Krankheiten. Und dann ließ ein  bösartiger Pilz, 1842, die gesamte Ernte verfaulen. Zehntausende kleiner Pächter konnten ihre Höfe nicht mehr bezahlen, sie wurden davongejagt. An den Straßenrändern lagen häufig die Leichen der Verhungerten. In den kommenden etwa 15  Jahren wanderte aus, wer nur irgend das Geld zusammenkratzen konnte: Fast zwei Millionen Iren vertrauten sich den grässlichen Auswandererschiffen an und wurden, sofern sie die Reise überlebte, vor allem Amerikaner.

Nein, über den beliebten Kartoffelkäfer wollen wir hier gar nicht reden.

Sondern lieber wieder auf etwas Positives kommen: Die Kartoffel ist nicht nur schmackhaft und sättigend, sondern auch heilsam! Die zerquetschte, noch heiße gekochte Kartoffel gibt, in Leinen gewickelt, wunderbare heiße Umschläge, der Saft besänftigt Magengeschwüre.

Die Knolle ist sogar extrem magenfreundlich. Ich erinnere mich noch an eine Geschichte, mit der mein Vater mal nach Hause kam, als ich noch ein kleines Mädchen war. Er hatte in der Kantine  vom Studio Hamburg einen Regisseur getroffen, der sich Kartoffeln auf den Teller füllte und sie lächelnd lobte. Dann erklärte er: Sein Arzt hätte ihn zur Untersuchung seiner Beschwerden ins Krankenhaus geschickt, dort wurde ihm schließlich mitgeteilt, er habe ein bösartiges, bereits sehr großes Magengeschwür und sie könnten nichts mehr für ihn tun. In den ihm verbleibenden vier bis fünf Monaten sollte er doch vielleicht noch eine Reise unternehmen und sich am Familienglück erfreuen.

Der Mann setzte für diesen Tag die Arbeit im Schneideraum ab und fuhr allein in die Heide südlich der Elbe, um zu sich zu kommen. Dort begegnete ihm ein strickender Schäfer, mit dem er ins Gespräch kam. Der sagte: „Na, wenn Sie nur noch vier bis fünf Monate haben, dann machen Sie doch mal den Versuch, in dieser Zeit nur noch drei Dinge zu essen: Kartoffeln, Leinöl und Magerquark. Was haben Sie zu verlieren?“

Und nach drei Monaten dieser sehr einseitigen Diät waren bereits die Magenschmerzen weg – und eine neue Untersuchung zeigte eine deutliche Verringerung des Geschwürs. Der Patient ernährte sich ein weiteres Jahr auf diese Art, fügte dann vorsichtig dies und das hinzu und bekam von seinem misstrauischen Arzt ungern bestätigt, es scheine alles wieder in Ordnung zu  sein. Und das war inzwischen fast zwanzig Jahre her. (Vorsicht! Das sollte auf gar keinen Fall jemand nachmachen! Es ist garantiert NICHT wissenschaftlich erwiesen.)

Ich bin allerdings überzeugt  davon, dass meine Mama nicht zuletzt deshalb so gesund beinah hundert wurde, weil sie ihr Leben lang soviel Kartoffeln gegessen hat.

Glücksfaktor: sich ernähren zu dürfen, wie man will …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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