Die Muhlenberg-Legende


Muhlenberg war schuld. Dass in Amerika heute Englisch gesprochen wird.

Beinah wäre es Deutsch gewesen. Bei der Gründung der Vereinigten Staaten haben sie nämlich darüber abgestimmt, wie ihre Amtssprache klingen sollte. Und schließlich entschied eine einzige Stimme für Englisch. Eine einzige! So was Ärgerliches …

Jedenfalls haben sie mir die Geschichte so erzählt, als ich klein und unwissend war – und nicht nur mir.

Man stelle sich vor: Alle Amerikaner wären deutschsprachig aufgewachsen! Wir hätten sämtliche Filme und Serien ohne Synchronisation sehen können! Die Welt wäre von Deutschismen überschwemmt worden! Elvis hätte Deutsch gesungen! Vielleicht wäre ihr Akzent ein wenig anders gewesen, verzerrt durchs Gummikauen, aber sonst …

Stimmt alles nicht.

Erstens ging es nicht um ganz Amerika, sondern nur um den Bundesstaat Pennsylvanien. Im gesamten Land befanden sich wohl viele deutsche, doch ungleich mehr englische Einwanderer. Zur fraglichen Zeit, Ende des achtzehnten Jahrhunderts, bestand der Anteil deutscher Einwanderer in ganz USA aus knapp 9 Prozent, lag in Pennsylvanien allerdings bei einem Drittel der Bevölkerung. (Was immer noch nicht ausgereicht hätte, um die behauptete Stimmenknappheit zu erreichen.)

Eigentlich besitzt Amerika überhaupt keine ‚Amtssprache‘. Sie reden halt mehr oder weniger alle Englisch. Wie jedoch kam es zu dieser Legende? 

Verbreitet hat sie ein Herr namens Franz von Löhers, der 1840 – also ungefähr vierzig Jahre nach der angeblichen Abstimmung – ein Buch verfasste über die Geschichte und Zustände der Deutschen in Amerika. Da erklärt er, die Stimmen darüber, ob Deutsch Amtssprache in Pennsylvanien werden sollte, seien ‚gleich gefallen‘, also unentschieden zwischen Deutsch und Englisch. Da habe ein Herr Mühlenberg, der Sprecher des Landtages, mit seiner Stimme den Ausschlag nicht für Deutsch (obwohl aus seinem Namen ja wohl deutlich hervorgeht, wo seine Ahnen wurzelten) sondern für Englisch gegeben! Auch noch mit dem Zusatz: „Je schneller die Deutschen Amerikaner werden, desto besser.“

Franz von Löhers setzte seinen Fuß niemals auf amerikanischen Boden. Er kolportierte die Angelegenheit vom Hörensagen. Und beim Weitergeben dieser angeblichen Fakten verschliff sich dann auch noch der Name. Der vaterlandslose Geselle hieß, obwohl tatsächlich deutschstämmig, bereits ‚Muhlenberg‘.

Frederick Muhlenberg war wirklich Sprecher der pennsylvanischen Landesversammlung sowie  Mitglied des Repräsentantenhauses.

Er entschied auch in der Tat etwas mit einer entscheidenden Stimme, nur ging es da um kein Sprachproblem, sondern darum, ob ein bestimmter Vertrag mit dem Königreich Großbritannien geschlossen werden sollte. Das war, kurz nach dem Unabhängigkeitskrieg, eine höchst umstrittene Sache, die Emotionen kochten hoch. Durch Muhlenbergs Zustimmung wurde dieser Vertrag geschlossen. Was einen seiner Schwager, Bernard Schaeffer, so erboste, dass der zwei Tage nach der Ratifikation des Vertrags mit einem Messer bei Muhlenberg aufkreuzte und auf ihn einstach, ihn allerdings nur leicht verletzte. Andere, die vielleicht ebenfalls gern zum Messer gegriffen hätten, wählten den Mann jedenfalls nicht wieder in den Kongress.

Und was hat das alles mit der deutschen Sprache zu  tun?

Nichts. Aber: Am 9. Januar 1794 richteten einige deutsche Einwanderer eine Bitte an das Repräsentantenhaus, einige Verordnungen und Gesetze ins Deutsche zu übersetzen, damit neue Einwanderer, die noch nicht so fit in Englisch waren, die Gesetze verstehen und befolgen könnten. Dieser Antrag wurde vier Tage später mit 42 zu 41 Stimmen abgelehnt. 

Muhlenberg, der ebensogut Deutsch wie Englisch sprach, und sich dafür hätte einsetzen können, verweigerte seine Unterstützung mit eben diesem schrecklichen Satz: „Je schneller die Deutschen Amerikaner werden, desto besser.“

Glücksfaktor: Das Prinzip ‚Stille Post‘. Immer wieder amüsant …


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