Manch andere schlimme, ansteckende Krankheit reiste womöglich unter ihrem Namen und gab ihr die Ehre. Natürlich ist sie uralt – bereits 1400 Jahre vor Christi Geburt bejammerten die Hethiter eine entsprechende Epidemie, die kein Ende nehmen wollte und die nach Erkenntnis von Forschern des 21. Jahrhunderts wirklich einer (noch jugendlichen) Form der Pest entsprach.
Nach einigen Untaten in der Antike, im Römischen Reich, Griechenland, Persien und Konstantinopel im 8. Jahrhundert – verschwand die Pest für fast 500 Jahre. Nicht, dass sie jemand vermisst hätte. Vielleicht bereitete sie sich in Ruhe auf ihren ganz großen Auftritt im Mittelalter vor.
Seit jeher machten sich die Geplagten Gedanken über die Ursachen für so viel Leid. Schuld waren zunächst die launenhaften Götter. Nach Verbreitung der monotheistischen Religion beklagten die Menschen dann den Zorn des einen Gottes (oder auch ihr eigenes Fehlverhalten, das denselben hervorgerufen haben mochte). Eine Weile, während der großen Pandemie im Mittelalter, liefen Geißler durch die Straßen und schlugen sich den Rücken blutig, um Buße zu tun, stellvertretend für alle anderen Sünder.

Viel später begriff man, wer wirklich Schuld hatte: die Ratten. Oder vielmehr die Flöhe, die sie in ihrem Pelz beherbergten und die ihrerseits den Erreger trugen. Die Flöhe saugten am verseuchten Rattenblut, dann sprangen sie über und lutschten die Menschen an, ohne sich vorher den Rüssel zu putzen. Erst war der Ratte elend gewesen; jetzt fühlte sich auch der Mensch grässlich.
Tatsächlich ist die Pest umso erfolgreicher, je schmuddeliger es zugeht. Dass wir sie inzwischen, wenn auch nicht besiegt, so doch in ihre Schranken gewiesen haben, liegt an Putzlappen, Wasser und Seife. Aber das kann man auf die meisten epidemischen Krankheiten ausweiten. Hygiene ist eine der besten Waffen gegen nahezu alle Seuchen.
Außer dem Missfallen des Schöpfers an den Menschen lag es natürlich an diesem Miasma, der üblen Luft. Ach ja, und an Planetenkonstellationen: 1348 etwa sah es astrologisch gar nicht gut aus. Saturn, Jupiter und Mars rotteten sich in einem bedrohlichen Winkel zum Wassermann zusammen, das verhieß Unheil und Leiden.

Athanasius Kircher, ein deutscher Geistlicher und Universalgelehrter, behauptete 1658, dass sich im Blut Pestkranker kleine Lebewesen herumtrieben (er nannte sie Würmlein), die aus- und eingeatmet würden und dadurch den Gesunden anstecken könnten. Das war eine völlig neue Idee. Kircher meinte, er habe die kleinen Kerlchen unter dem Mikroskop gesehen.

Carl von Linné, der schwedische Naturforscher, griff das hundert Jahre später begeistert auf und erklärte, die Würmlein hätten bestimmte Zeiten, in denen sie schliefen, ihre Mahlzeiten hielten oder sich der Liebe widmeten. Aus diesen Zeitabläufen ergäben sich die unterschiedlichen Krankheitsschübe.
Beide Herren hätten durch die Mikroskope ihrer Zeit keine Pestbakterien erkennen können. Wahrscheinlich sahen sie Leukozyten, also weiße Blutkörperchen, emsig damit beschäftigt, die Seuchenerreger zu bekämpfen. (Und wer weiß, was Linné noch zu erkennen glaubte.) Immerhin gingen sie damit mehrere Schritte in die richtige Richtung.
Aber zurück zum ganz großen Auftritt der Pest, angekündigt durch Mars, Saturn und so weiter.
Um die Mitte des 14. Jahrhunderts bemühten sich die Mongolen, die Halbinsel Krim zurückzugewinnen. Sie belagerten die Hafenstadt Kaffa, die von den Genuesern gehalten wurde. Das dauerte und dauerte – und dann gab es die ersten Kranken und Toten unter den Belagerern. Vielleicht übertrug sich die Pest ja ganz schlicht durch Ratten, die ihrerseits Möglichkeiten fanden, in die Stadt zu kommen. Überlebende aus Kaffa jedoch schilderten die Bosheit der Mongolen, Pestleichen mit ihren Katapulten über die Stadtmauern zu schleudern. Ein früher Versuch von biologischer Kriegsführung? Nun wohnte die Pest in Kaffa. Einige Kauffahrer entkamen der Stadt mit ihren Schiffen, solange sie sich noch gesund fühlten. Und steckten damit nahezu den Rest der bekannten Welt an.
Zwischen 1346 und 1353 wälzte der Schwarze Tod sich über Europa und erstickte ungefähr ein Drittel der damaligen Bevölkerung, geschätzt 25 Millionen Tote. In Deutschland verlor etwa jeder Zehnte sein Leben. In Hamburg, Köln und Bremen wütete die Pest besonders hemmungslos, etwas gemäßigter in Mittel- und Ostdeutschland. Sie streckte sich von Spanien und Italien bis hoch über Skandinavien und ganz Russland. Einige kleine Flecken ließ sie zunächst aus; Brügge, Mailand und sogar Polen. Diese Gebiete schotteten sich konsequent ab, machten Grenzen und Stadtmauern dicht – und wurden von der Pandemie verschont.
Aber die Pest hatte Geduld. Sie blieb auch nach dem großen Verderben des 14. Jahrhunderts noch fast vierhundert Jahre lang präsent, veranstaltete hier und da und dort Epidemien und hakte bei diesen Gelegenheiten auch die Orte ab, die ihr damals entkommen waren.
Mitten in der schlimmsten Zeit der Pandemie schrieb Giovanni Boccaccio, ein italienischer Dichter, die hundert Geschichten seines berühmten ‚Decamerone‘. Es gibt dazu eine Rahmenhandlung: Zehn junge Menschen, sieben Frauen und drei Männer, haben sich 1348 vor der Pest in Florenz in ein Landhaus geflüchtet, wo sie sich gegenseitig Geschichten erzählen.

Boccaccio beschrieb jedoch auch, was er in Florenz gesehen hatte. Er schilderte die vielen Menschen, die Tag und Nacht auf den Straßen starben, die plötzliche Herzlosigkeit, mit der sich Verwandte und Freunde gegenseitig im Stich ließen, im Bestreben, das eigene Leben zu retten, und sogar von Eltern, die sich nicht um ihre kranken Kinder kümmerten, um sich nicht anzustecken.
Ein Infizierter erlitt nach drei bis vier Tagen zunächst Grippesymptome. Dann stieg das Fieber schnell, Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Benommenheit kamen dazu und bald bildeten sich in der Leistengegend, am Hals oder in den Achseln die Beulen der geschwollenen Lymphknoten. Sie konnten bis zu Eier- oder Apfelgröße anschwellen und waren extrem schmerzhaft. Platzten sie nach außen auf und entließen grünlichen, übelriechenden Eiter, dann hatte der Kranke eine Chance auf Genesung. Platzten sie nach innen, entlud sich die Unreinheit in die Blutbahn und führte zum schnellen Tod. Ärzte bemühten sich zum Teil, die Haut über den Beulen mit warmen Kräuterpackungen zu erweichen, um sie dann aufzuschneiden. Das dürfte, ohne Betäubungsmöglichkeit, kein Spaß gewesen sein, weder für den Patienten noch für den Doktor.
Immerhin starb nicht jeder, der an der Beulenpest erkrankt war. Im Gegensatz dazu überlebte kaum einer, den die Lungenpest erwischt hatte. Die begann gleich mit Atemnot und krampfhaftem Husten, der immer mehr blutigen Auswurf hervorbrachte, manchmal kam eine Lähmung der Zunge hinzu, dann folgte ein Lungenödem. Selten dauerte es vom Moment der Ansteckung bis zum Tod länger als drei Tage.
Eine Epidemie folgte durch die Jahrhunderte in Europa der anderen mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Norwegen war vorübergehend nahezu entvölkert, London und der Süden Englands erlitten 1665 und 1666 eine Pestwelle, die etwa 100.000 Opfer kostete, davon 70.000 Londoner Bürger, ein Fünftel der Stadtbevölkerung. Gerettet wurde der Rest der Bewohner absurderweise durch den Großen Brand von London im September 1666. Der vernichtete ausgedehnte Teile der alten Wohn- und Geschäftshäuser, die viel zu eng beisammen gestanden hatten, und verbrannte praktischerweise auch alles, was noch an Ratten voller Flöhe in der Stadt saß.
Die letzte Pest-Epidemie Europas gab es 1771 in Moskau.
Aber die Pest lebt und tötet immer noch, ganz aktuell. In Afrika, Asien, Südamerika – und sogar in Nordamerika. Dort meistens nicht mehr mittels der Übertragung durch Ratten, sondern durch normale, freilaufende Hauskatzen, die eventuell einen pestverseuchten Floh mit nach Hause bringen.
Ein Touristenpaar verspeiste 2019 in der Mongolei ein rohes Murmeltier

(vielleicht als einheimische Delikatesse empfohlen?), bekam die Beulenpest und starb umgehend. Von Tieren abgesehen kann die Seuche, nach wie vor, von Mensch zu Mensch übertragen werden.
In 21. Jahrhundert werden jährlich ungefähr 2000 Pestfälle nachgewiesen, von denen 7% tödlich ausgehen. Meistens handelt es sich allerdings um Einzelfälle oder, begünstigt durch Krieg und andere Katastrophen, kleinere Epidemien. Bei rechtzeitigem Erkennen ist die Krankheit inzwischen mit Antibiotika zu heilen. Übrigens existiert auch ein Impfstoff, der von der Weltgesundheitsbehörde jedoch ungern empfohlen wird: Er hat happige Nebenwirkungen.
Glücksfaktor also: Reinlichkeit, keine Ratten. Und vor allem keine Flöhe …