Die Sache mit der Nettigkeit


Wir sind hierzulande eher nicht nett. Dafür sind wir jedenfalls ehrlich.

Man benötige, heißt es, für ein Lächeln nur 17 Muskeln. Um richtig missmutig zu gucken, muss man 45 Muskeln in Gang setzen. Was das angeht, scheuen wir keine Mühe. Ein Gang durch eine deutsche Großstadt zeigt wenig freundliche Gesichter, gelinde gesagt.

Falls jemand lächelt, liebenswürdig ist und womöglich auch noch Komplimente macht (um Gottes Willen!) dann ist dem Deutschen klar, dass es sich hier um einen verdorbenen Charakter handelt und um eine böswillige Schlinge, die ihm gelegt wird. Über soviel gesundes Misstrauen verfügt er.

Erinnert es nicht an einen geprügelten Hund, der, gewitzt durch böse Erfahrung, nach jeder Hand schnappt, die ihm einen Keks reicht? (In diesem Fall allerdings loben wir nicht das ehrliche Tier, sondern wir nennen ihn falsch.)

Früher wurden Kinder noch damit drangsaliert, ‚Bitte‘ und ‚Danke‘ sagen zu müssen, wenn sie was wollten oder wenn sie was erhielten. Diese Dressur zur Rumschleimerei hat man sich glücklicherweise inzwischen abgewöhnt. Ein anständiges deutsches Kind reißt Geschenke schweigend und ohne zu lächeln an sich – da protestiert lieber niemand. Es könnte das Kind nämlich seelisch schädigen. Wenn das wen verdrießt, sollte er es lieber nicht zeigen oder gar aussprechen. In dem Fall ist Ehrlichkeit nämlich ganz unangebracht.

Wir Deutschen mögen es eigentlich nicht so gern, wenn man uns an der Supermarktkasse ‚Einen schönen Tag noch‘ wünscht. Erstens kann das gar nicht von Herzen kommen. (‚Von Herzen‘ bedeutet in Deutschland ‚ehrlich‘). Es klingt, nach dem 211ten Mal, ja auch ziemlich geleiert. Außerdem ist die Kassiererin, wer auch immer ihre Ahnen sein mögen, in den meisten Fällen so weit eingedeutscht, dass sie bei diesem Spruch nicht lächelt, sondern jedenfalls durch den Gesichtsausdruck deutlich macht, dass sie uns eigentlich zum Geier wünscht.

„Nett“, hat Dieter Bohlen gesagt, „ist die kleine Schwester von Scheiße“. Das hat er sich zwar nicht ausgedacht, sondern nur zitiert, aber ich finde, es passt erstaunlich gut zu seinem urdeutschen Gesicht mit dem großzügigen, durch und durch ehrlichen Mund.

Dieter Bohlen live in Moskau 2006, Foto: Blecmen 

Über den ein wenig harsch agierenden Botschafter der Ukraine, Andrij Melnyk, ist gesagt worden, er verhalte sich zu undiplomatisch für einen Diplomaten. Wenn man klug ist, sollte man etwas netter sein zu dem, von dem man was will.

Ich halte Herrn Melnyk im Gegenteil für sehr klug. Wir wissen, dass er jeden Grund hat, sich für sein Land einzusetzen. Er muss Hilfe bekommen, auch Waffen, das ist begreiflich. Er hat es jedoch – unter anderem – mit Deutschen zu tun. Würde er jetzt rumkriechen, nett sein und Bitte-Bitte machen, wären wir sehr abgeturnt. 

Wer von uns etwas will, der sollte darauf achten, nicht zu lächeln. Ein paar kraftvolle Beleidigungen beweisen uns, dass es von Herzen kommt. Da geben wir gern.

Glücksfaktor: Ehrlichkeit!

 


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