Die Spanische Grippe – tödlicher als der Weltkrieg


 

Im März 1918 ging der Erste Weltkrieg zu Ende, der 17 Millionen Menschenleben gekostet hatte. Darüber konnte die Grippe nur verächtlich lächeln. Sie entwickelte sich im Lauf der nächsten Jahre, bis 1920, zur entsetzlichsten Pandemie der menschlichen Geschichte, ließ Pest und Cholera hinter sich und verschlang weltweit ungefähr 50 Millionen Leben. Zumindest wurden so viel bestätigt. Inzwischen geht die Vermutung dahin, dass es doppelt so viel gewesen sein könnten.

Nebenbei bemerkt kam sie gar nicht aus Spanien. Doch weil die meisten der noch im Krieg befindlichen Länder nicht über die Krankheit berichteten, um der Kampfmoral nicht zu schaden, erschienen zunächst nur in spanischen Zeitungen Artikel über die Grippe. Zum einen war Spanien neutral, zum anderen erkrankte der Spanische König Alfons XIII. höchstselbst. Das war schon eine Notiz wert.

Man vermutet inzwischen, dass die Grippe zuerst in Amerika ausbrach, in einem kleinen Ort namens Haskell County im Bundesstaat Kansas. Drei Rekruten im dortigen Armee-Ausbildungslager (das in der Nähe einer Schweinefarm lag) litten an Grippe-Symptomen. Wenige Tage später gab es im Lager mehr als 1000 Infizierte – und  bereits 38 Todesfälle. Kurze Zeit später meldete  sich die Seuche aus zwei weiteren Ausbildungslagern in Georgia.

Die Influenza begann bei einem Infizierten meistens ganz plötzlich. Der Patient fühlte sich von einem Moment auf den anderen scheußlich. Er bekam Kopfweh und Glieder- und Gelenkschmerzen, fühlte sich müde und schlapp. Ein seelisches Phänomen kam dazu: die Spanische Grippe machte traurig. Sie verursachte Antriebschwäche und die Unfähigkeit, sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Es folgte Schüttelfrost, dann ging der krampfartige, quälend trockene Reizhusten los. Kehle und Rachen wurden dadurch gereizt und wund. Das alles geschah am selben Tag, innerhalb weniger Stunden. Bald darauf fing das Fieber an, bis über 40°. Die Influenza dauerte meistens nur drei, vier Tage, selten bis zu einer Woche. Danach fühlte sich derjenige, der sie überlebt hatte, schlapp und kraftlos, appetitlos – und immer noch traurig. Die Rekonvaleszenz dauerte Wochen, viel länger als der eigentliche Grippeanfall. Und auch nach der Genesung litten viele ehemalige Patienten an Störungen des Nervensystems, chronischer Erschöpfung, plötzlichen Schlafanfällen und lebenslangen Depressionen.

Die schweren Fälle erlitten nach einigen Tagen eine Lungenentzündung, oft in Form von bakterieller Superinfektion, sowie ein Hämorrhagisches Fieber (der Patient beginnt zu bluten, innerhalb der Organe und im Gewebe, was große blaue Flecken in der Haut verursacht und blutigen Husten.) In solchen Fällen trat der Tod meist am achten oder neunten Krankheitstag ein.

Die Soldaten nannten es Knock-me-down fever – und verbreiteten die Viren unfreiwillig an jeder Front, zu der sie geschickt wurden. Eine ganze Weile wurde behauptet, die Deutschen hätten sie, perfide und bewusst, ausgestreut, um ihre Feinde umzubringen.

Manchmal liest man, das Virus der Spanischen Grippe habe leichtes Spiel gehabt mit einer durch den Weltkrieg entkräfteten und unterernährten Gesellschaft. Doch das ist falsch. Ein Merkmal der Krankheit war, dass sie vor allem kräftige Patienten in der Blüte ihres Lebens umbrachte, statt, wie gewöhnlich, sehr alte und ganz junge und schwächliche Menschen. Die höchsten Todesraten gab es bei 20- bis 40-jährigen, starken und wohlgenährten Personen. Inzwischen erklären sich Wissenschaftler diesen Tatbestand damit, dass bei vitalen Menschen das Immunsystem überreagierte. Dadurch griffen die Abwehrkräfte die eigenen Zellen an.

Da am Anfang der Pandemie der Krieg noch nicht beendet war, reagierten Staatsoberhäupter einigermaßen unkonzentriert auf diese plötzliche Nebenherausforderung. Hier und da waren Masken Pflicht – wie etwa bei der Polizei in Seattle – es wurden auch Schulen geschlossen und öffentliche Veranstaltungen abgesagt. An anderen Orten gab es lediglich Schilder, die das Spucken auf den Boden untersagten – und das Herumgeschnaufe und Gehuste.

Alles in allem waren sich die Regierenden (zudem verfeindet miteinander) in keiner Weise einig darüber, wie gefährlich die Influenza sein mochte und was man dagegen tun sollte.

In Wien tötete die Spanische Grippe im Oktober 1918 den Maler Egon Schiele. Er war ziemlich umstritten und eben in Begriff, sehr berühmt zu werden. Schiele wurde nur 28 Jahre alt. Er war besonders von der Traurigkeit betroffen, die mit der Krankheit einher ging. Allerdings hatte er einen besonderen Grund dafür: Seine junge Frau Edith, die er bis zuletzt pflegte, war drei Tage vorher gestorben – im sechsten Monat schwanger …

Und in New York beendete die Grippe das Leben und die Karriere eines überaus erfolgreichen Herrn, der als ambitionierter Sechzehnjähriger 1885 aus Rheinland-Pfalz nach Amerika ausgewandert war und seinen Vornamen Friedrich zu Frederick anglisierte.

Friedrich war zart und schmächtig, weshalb seine Mutter verhinderte, dass er mit seinen Geschwistern im Weinbau arbeitete. Er lernte stattdessen das Handwerk des Friseurs, und so fing er in New York auch an. Aber er wollte reich werden – und mit Glück und Talent begann er, in der Gastronomie und mit Immobilien den Grundstock für ein kleines Vermögen zu legen.

Im Mai 1918 ging Frederick mit seinem Sohn spazieren. Er ging ganz munter los, fühlte sich unterwegs jedoch auf einmal schwach und elend. Wieder zu Hause angekommen, legte er sich sofort ins Bett – und war am nächsten Tag tot. Sein noch minderjähriger Sohn führte, unterstützt von Fredericks Witwe, die Geschäfte fort und baute sie zu einem Hunderte Millionen Dollar schweren Unternehmen aus. Heute heißt das Ding Trump Organization und befindet sich in Besitz des Enkels von Frederick: Donald …

Es gab kein Mittel gegen die Spanische Grippe, keine Medizin, die half.

In den Zeiten der Influenza entstand der Kinderreim:

I had a little bird,

Its name was Enza.

I opened the window,

And in-flu-enza.

Glücksfaktor: Es gab immer wieder mal Zeiten von Pandemie auf der Erde. Doch die meiste Zeit, alles in allem, haben wir gerade keine …

 


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