Bei ihrem Stapellauf war sie das größte Schiff der Welt. Und das sicherste. Unsinkbar!

Der Riesendampfer wurde auf einer Werft in Belfast gebaut, gemeinsam von einheimischen und von englischen Werftarbeitern. Zwischen diesen Männern herrschte keine besonders harmonische Stimmung: Immer wieder machten sich die Briten über den katholischen Glauben der Iren lustig. Um sie zu ärgern, schrieben sie eines Nachts in großen Buchstaben auf den Schiffsrumpf: NICHT EINMAL GOTT KANN SIE VERSENKEN!
Das wurde am Morgen gesehen und gerügt – vielleicht gab es auch ein paar Entlassungen. Und natürlich wurde die Schrift übermalt.
Aber es sprach sich herum und die Reederei, die White Star Line, hörte den Slogan nicht ungern; sehr werbewirksam, oder? Natürlich konnte ein aufgeklärter Mensch über so etwas nur schmunzeln.
Kapitän Edward John Smith wiederholte den Spruch beim Mittagessen einer ängstlichen Passagierin. „Machen Sie sich keine Sorgen, Madam! Nicht einmal Gott …“
Das war während der Jungfernfahrt, am 14. April 1912. Als dem Kapitän ungefähr zwölf Stunden später gemeldet wurde, was gerade passierte, rief er empört (das ist überliefert): „Aber sie ist doch unsinkbar!“

In der betreffenden Nacht hatte es durchaus Warnungen vor Eisbergen gegeben. Ungewöhnlich viele Eisberge sowie Treibeis. Die Titanic änderte ihren Kurs und fuhr etwas südlicher – außerdem beeilte sie sich, um aus dem Gefahrengebiet rauszukommen. Nicht, um das Blaue Band für die schnellste Atlantiküberquerung zu gewinnen – das ist ein Mythos, denn dazu war das Schiff nicht angelegt. Es ging mehr um die Behaglichkeit der Passagiere als um Geschwindigkeit. Immerhin stimmt es, dass der an Bord befindliche Direktor der White Star Line, Joseph Bruce Ismay, dem Kapitän ein bisschen Dampf machte, das wurde später von Zeugen berichtet. Ismay hielt nichts davon, herumzutrödeln.
Das wäre nicht schlimm gewesen bei besserer Sicht. Doch zunächst mal war gerade Neumond – es leuchteten allein die Sterne. Wunderschön, wenn auch nicht sehr erhellend. Kein Lüftchen regte sich, absolute Windstille, der Atlantik wie ein schwarzer Spiegel. Insofern ungünstig, als man bei Wellengang gehört hätte, wo sich das Hindernis, sprich Eisberg, befindet.
Außerdem herrschte wohl eine Super-Refraktion. So, wie die Wüste in der Lage ist, Eindringlinge mit einer Fata Morgana zu necken, hat auch der Ozean seine Spässchen parat. In diesem Fall lag vermutlich eine kalte Luftschicht (vom Labradorstrom) unter einer warmen Luftschicht (vom Golfstrom). Dadurch ergab sich die optische Täuschung eines zweiten Horizonts über dem Meeresspiegel und in dem Raum dazwischen bildete sich Dunst. Das tarnte feindliche Eisberge und machte sie unsichtbar.
Noch unsichtbarer wurde alles eventuell durch die ärgerliche Tatsache, dass der Matrose im Ausguck das finstere Meer mit bloßem Auge erforschen musste. Den Schlüssel zum – abgeschlossenen – Fernrohrschrank trug ein Offizier in Liverpool bei sich, der überraschenderweise die Jungfernfahrt nicht mitmachte. Sicherlich reisten viele Passagiere mit Ferngläsern. Aber hätte man die um einen Operngucker anpumpen sollen? Was hätte denn das für einen Eindruck gemacht? Immerhin wäre der Schrank ja gewaltsam zu öffnen gewesen – jedoch wozu? Die Titanic war bekanntlich unsinkbar …
Moniert wurde später, dass Kapitän Smith keine zweite Wache postiert hatte angesichts der Eisbergwarnungen und des hohen Fahrttempos. Hinterher sind die Menschen immer schlauer.
Um 23:40 Uhr machte es ziemlich leise Wumms. Einige Minuten vorher hatte man ihn entdeckt und ein Ausweichmanöver versucht. Viel zu spät.

Das hier ist er sehr wahrscheinlich. Der Chefsteward des Hamburger Passagierdampfers Prinz Adalbert fotografierte diesen Eisberg am Morgen des 15. April 1912, ohne zu wissen, dass wenige Kilometer nördlich eine entsetzliche Katastrophe passiert war. Er dachte allerdings an eine Kollision mit einem Schiff, weil sich im Eis nahe der Wasserlinie ein Streifen roter Farbe zeigte.
Die Titanic befand sich beim Zusammenstoß ungefähr 300 Seemeilen südöstlich von Neufundland. Sie ließ sich übrigens Zeit; nach der Kollision dauerte es zwei Stunden und 40 Minuten, bis sie endgültig abtauchte. Das ist keine besonders knappe Spanne für eine Evakuierung. Dass trotzdem von den über 2200 Passagieren und Besatzungsmitgliedern an Bord nur 711 überlebten, lag vor allem daran, dass viel zu wenig Rettungsboote zur Verfügung standen. Außerdem hatte niemand dem Schiffspersonal beigebracht, wie man mit den Booten umging. Einige konnten das, die meisten nicht.

Darüber hinaus herrschte leider furchtbar viel Unklarheit. Den Passagieren aus dem ‚Zwischendeck‘, also der dritten Klasse, war überhaupt nichts klar, bis es nass wurde. Teilweise, weil viele Auswanderer kein Englisch verstanden, hauptsächlich, weil es so etwas wie Lautsprecherdurchsagen nicht gab. Wer nicht direkt vom Schiffspersonal informiert wurde, der hatte keinen Schimmer. Und das Schiffspersonal informierte eben eher die Leute in den oberen Decks, das war auch eine Frage der Räumlichkeit und der Eile.
Viele Passagiere der ersten Klasse wollten nicht einsehen, wieso sie mitten in der Nacht die wohlgeheizte und beleuchtete Titanic verlassen sollten, die doch offenbar ganz ruhig und sicher auf dem Wasser lag, um sich in ein kleines Boot auf dem eisigen Ozean zu begeben. Umso mehr, als das Schiffsorchester (auf Befehl des Kapitäns, zur Beschwichtigung) muntere Weisen spielte. Das war eindeutig zuviel Beschwichtigung. Und wenn die Passagiere denn schon dazu bereit waren, in die Boote zu steigen, dann fanden sie es übertrieben, die unbequemen Rettungswesten anzuziehen. Verständlich, da man ihnen die Evakuierung als ‚Bootsmanöver‘ schmackhaft gemacht hatte.
Es herrschte also zunächst größte Gelassenheit – derart, dass man das erste Boot eine satte halbe Stunde nach dem Eisberg-Aufprall zu Wasser ließ.
Ein damals ziemlich neuer Grundsatz der christlichen Seefahrt lautete: Frauen und Kinder zuerst! Daraus ergaben sich, je nach Schiffsseite, unterschiedliche Ergebnisse. An Steuerbord ließ der erste Offizier auch Männer in die Boote, wenn sie halt gerade passend standen. An Backbord nahm der zweite Offizier das Motto so ernst, dass er überhaupt keinen Mann in ein Rettungsboot ließ und dem mit gezogener Waffe Nachdruck verlieh. Dadurch kam am Anfang eins der Boote, in denen 40 Personen Platz hatten, mit nur 12 Frauen darin von Bord. Auch deshalb, weil sich immer noch viele weibliche Passagiere weigerten, das unsinkbare Schiff zu verlassen. Auf diese Art waren etliche Boote nur zur Hälfte besetzt.
Doch irgendwann wurde deutlich, dass die Titanic sich nicht wohlfühlte. Sie senkte sich langsam schnäuzlings nach vorn, in den Atlantik. Nun brach Panik aus. (Obwohl das Orchester immer noch muntere Weisen spielte. Die acht Musiker gingen tapfer mit dem Dampfer unter.) In die letzten Boote wurden auf einmal 70 Personen gequetscht. Der vordere Schornstein kippte ins Wasser und erschlug mehrere Menschen.
Kurz vor halb drei zerbrach das große Schiff in der Mitte. Dadurch zerrissen die Stromleitungen – die bis dahin hell erleuchtete Titanic war nun so dunkel wie die Nacht. Der Bug rauschte in die Tiefe. Das Heck richtete sich noch einmal steil auf und folgte dann. Mit einer Fallgeschwindigkeit zwischen 50 und 80 km/h schlug das Wrack in fast 4000 Meter Tiefe auf den Meeresboden.
Die Wassertemperatur lag am Gefrierpunkt. Wer sich von Bord gerettet hatte und gut schwimmen konnte, dem nützte das auch nichts. Fast alle, die nicht in einem Rettungsboot saßen, starben an Unterkühlung.
Die Rettungsboote jedoch, in denen insgesamt noch mehrere Hundert Plätze frei waren, ruderten von den um Hilfe Rufenden davon. Sie fürchteten zu kentern, wenn zu viele versuchten, an Bord zu klettern und erklärten deshalb, ihr Boot sei voll.
Ungefähr 1500 Menschen starben bei diesem Schiffsuntergang, darunter auch der Kapitän. Ismay, der Direktor der White Star Line, konnte sich retten und wurde den Rest seines Lebens als Feigling beschimpft.
Menschen erwarten ja immer etwas von Gott. Er soll dies oder das tun oder lassen, am liebsten verhindern oder nicht zulassen. Davon hängt seine Existenz ab: „Wenn er das zulässt, dann kann es ihn nicht geben!“ Vielleicht haben die irischen Werftarbeiter auch etwas von Gott erwartet nach dieser Inschrift auf der Schiffswand. Vielleicht dachten sie, er schickt einen gigantischen Sturm oder ein Seebeben mit Riesenwelle.
Vielleicht war ihm das zuviel Aufwand? Da schwamm einfach ein Eisberg. Alles andere haben die Menschen gemacht …
Glücksfaktor: Vieles, viel mehr als wir wissen, lässt er vielleicht wirklich nicht zu.