Die Waldmaus …


… ist eins der Tiere, die eine Autotomie fertigbringen. Eidechsen, Seesterne und manche Weberknechtarten gehören auch dazu.

Autotomie bedeutet, sie können notfalls einen Körperteil als entbehrlich abwerfen, falls ihn jemand festhält, dem nicht zu trauen ist. Manchmal wächst das Stück nach – manchmal nicht. Eine Methode der lebensrettenden Selbstverstümmelung.

Als Arne, mein Sohn, neun Jahre alt war, sprang ihm eine von einer Katze verfolgte Maus in die Arme. 

Er brachte sie mit nach Hause, wir besorgten ihr einen Käfig und pflegten sie ein paar Tage, bis sie  ihre Verletzungen ausgeheilt hatte. Zwar erholte sie sich ziemlich schnell, doch sie mochte ungern eingesperrt sein. Sie stand meist auf den Hinterfüßen und hielt sich mit ihren winzigen Händen an den Gitterstäben fest. Es sah aus, als ob  sie daran rütteln würde. Das war 1988, und wir tauften die freiheitsdurstige Maus nach dem inhaftierten afrikanischen Aktivisten Mandela: Nelson.

Ich kannte mich einigermaßen mit Mäusen aus, weil eine Albino-Maus namens Pinky (die ich als Baby aus einem Versuchsmäuse-Käfig gerettet hatte) dreieinhalb Jahre lang mein Leben teilte.  Was übrigens ein für ihresgleichen überaus gesegnetes Alter war. Ich wusste also, dass Mäuse gern spielen. Wir bastelten für Nelson einen kleinen Spielpark mit Schaukeln und Laufrad, in dem wir ihn so oft wie möglich frei laufen und turnen ließen. Das ging ganz gut in unserem großen Flur, indem wir alle Türöffnungen mit glatten, hochgestellten Tabletts versperrten. Aber eines Tages gelang es Nelson, mit Anlauf doch eins der Tabletts zu überspringen.

Ich erwischte ihn am Schwänzchen. So hatte ich Pinky immer gefangen, es tat ihr nicht weh. Sie war sogar ganz gern mal auf diese Art ttrasportiert worden. Nicht so Nelson. Zu meinem bleichen Entsetzen hielt ich nur sein Schwänzchen in der Hand, während sein Rest sich unter einer Vitrine versteckte.

Ich heulte ungefähr zwei Stunden lang. Ich hab kein Problem damit, mich mit Menschen zu prügeln, falls es ratsam ist. Aber Tieren weh zu tun ist mir schrecklich. Arne hatte alle Hände voll damit zu tun, mich zu beruhigen.

Später erfuhr ich aus dem Lexikon, dass Nelson eine Gelbhalsmaus war (eine Untergruppe der Waldmaus) und sein Schwänzchen, wenn auch vielleicht nicht in voller Länge, nachwachsen würde. Immerhin hatte er demonstriert, wieviel ihm die Freiheit wert war. Wir brachten ihn mit einem angemessenen Stück Käse als Wegzehrung zu einem Park in der Nähe.

Nelson raschelte sich emsig durch das Laub unter einem großen Baum in das Wurzelwerk und wir wünschten hinter ihm her ein mausemäßig glückliches Leben …

 

 

 


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert