Drina


Drinas Eltern heirateten, 1818, keineswegs aus Liebe. Es ging um Ehrgeiz und Staatsräson. Der Bräutigam, Edward Augustus, Duke of Kent and Strathearn, war bereits 51 Jahre alt. Es war seine erste Ehe. Bis dahin hatte er mit einer sehr hübschen Maitresse zusammengelebt, heillose Mengen

an Schulden verursacht und sich überall unbeliebt gemacht, wo er auftauchte. Er dürfte genau das gewesen sein, was ich einen interessanten Charakter nenne. Edward Augustus war der vierte Sohn des durchgeknallten Königs, zwei seiner älteren Brüder verbrachten ein paar Jahrzehnte auf dem Thron.

Drinas Großvater war George III. gewesen, verrückt wie ein Märzhase. Es wird von ihm erzählt, er habe einen Baum für den preußischen König gehalten und ihm herzlich den Ast geschüttelt.

Weil bei George in diesem Ausmaß eine Schraube locker saß, während die Verfassung es nicht vorsah, ihn abzusetzen, regierte sein Ältester geraume Zeit für ihn unter dem Titel: ‚Prinzregent‘, bevor er endlich George IV. wurde. Dieser Prinzregent war in seiner Jugend ein sehr hübscher Mann.

Er interessierte sich vergleichsweise wenig für England und das Regieren, umso mehr für Architektur und Mode. Auf diesen beiden Gebieten zeichnete ihn große Begabung aus. Die Gebäude, die er entwarf, sowie seine geschmackvollen Herrenmode-Ideen bildeten einen eigenen Stil, der heute noch nach ihm benannt ist: Regency.

Doch in mittleren Jahren wurde der Prinzregent beziehungsweise George IV. fett und missgelaunt. In seinem Nachruf in der ‚Times‘ stand, selten sei ein Verstorbener von seinen Mitmenschen weniger betrauert worden.

George III., der umnachtete, hatte neun Söhne hergestellt, von denen sieben erwachsen wurden. Man sollte denken, das reicht für einen vernünftigern Thronerben, mindestens einer der sieben Söhne bekommt weitere Söhne. Aber nee – entweder waren sie mit den falschen Damen verheiratet oder gar nicht, hatten keine Kinder oder wenn, dann blieben die nicht lange am Leben. So kam es, dass ausgerechnet ein Mädchen (!) die einzige legitime Tochter des vierten Prinzen, plötzlich Thronerbin sein sollte.

Drinas Mutter Victoire war 31 und bereits einmal verwitwet. Sie galt als schöne und geistreiche Frau – und sie empfand kaum Sympathie für Edward Augustus. Doch da beide wussten, was von ihnen erwartet wurde, bekamen sie zehn Monate nach der Hochzeit eine gesunde Tochter.

Das Kind wurde am 24. Mai 1819 unter etwas ungewöhnlichen Umständen im Kesingston Palace geboren. Zunächst mal half eine deutsche Hebamme , Charlotte von Siebold, der kleinen Prinzessin tatkräftig auf die Welt. Außerdem wurde das Baby gleich nach der Geburt gegen Pocken geimpft. Darüber hinaus stillte Victoire ihr Kind selbst! Ziemlich sensationell damals.

Getauft wurde die Kleine auf Alexandrina Victoria, zu Hause im Schloss immer Drina gerufen.

Der glückliche Vater schrieb seiner Schwiegermutter, das Kind sei fett wie ein Rebhuhn. Im Übrigens starb er kurz darauf an einer Lungenentzündung, da war die kleine Drina acht Monate alt.

Während sie heranwuchs, regierte noch ein Weilchen ein weiterer Onkel, William IV. Er war 64, als er auf dem Thron landete, aber er wirkte bedeutend älter, mit unsicherem, schlurfendem Gang und völlig unmöglichen Umgangsformen wie etwa das Ausspucken auf den Boden – im Zimmer …

Nach sieben Jahren gab er dann auch das Zepter für immer ab. Da war die kleine Drina, seine Nichte, achtzehn Jahre alt – und plötzlich Königin.

Die ersten Dokumente unterschrieb sie noch mit Alexandrina Victoria. Kurz darauf begnügte sie sich mit dem königlichen Namen, der Geschichte machte und für ein Zeitalter stand, das triumphierenste in der Geschichte Großbritanniens: Victoria!

Sie war bezaubernd und sie bezauberte, die sehr kleine, sehr energische neue Queen. Charles Dickens, damals ein junger Mann, schrieb in einem Brief, er und alle seine Freunde seien gemeinsam verliebt in ihre Königin.

Glücksfaktor, für mich: Geschichte. Besonders englische Geschichte und ganz besonders das 19. Jahrhundert …

 

 


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