Ein Narzisst ist das Böse an sich


Insofern sollten wir ihn pfleglich behandeln.

Soviel Böses haben wir schließlich nicht mehr. Wir werden zunehmend toleranter und toleranter. Vieles, von dem wir früher zu wissen meinten, das sei bitterböse, betrachten wir inzwischen mit nachsichtigem Lächeln. Wir haben gelernt, zu differenzieren. Die Geschöpfe auf diesem Planeten sind halt verschieden, sie haben ihre Gründe. Wer wollte den Hai verurteilen, der schließlich auch nur Hunger verspürt?

Nachdem uns der Teufel abhanden kam, haben wir eigentlich nur noch den Narzissten.

Immerhin. 

Die Welt benötigt das Böse – wie sonst sollte sich das Gute gegen den dunklen Hintergrund strahlend abheben?

Früher, bevor dieser Begriff Allgemeingut war, riefen wir stattdessen etwa: „Typisch  Mann!“ und meinten damit einen miesen, fiesen Egoisten, der andere – vor allem Frauen – ausnutzte, betrog, nicht wertschätzte und ihnen nicht in den Mantel half. (Letzteres hat sich sowieso erledigt.) Mit einem Wort TÄTER. Um ihn herum Opfer.

Doch, manchmal werden inzwischen auch Frauen beschuldigt, narzisstisch zu sein. (Normalerweise fehlen bei diesem Begriff die gewohnheitsmäßigen Gendersternchen).

Aber so richtig überzeugend ist das nicht. Der wahre, der richtige Narzisst ist männlich.

Für ihn existieren keine mildernden Umstände, keine Nachsicht. Er ist einfach böse, Punkt. Er kann auch nicht gebessert oder geheilt werden, zumal er natürlich nicht geheilt werden will – weil er böse ist. Es gibt haufenweise Gebrauchsanleitungen im Internet oder Bestseller-Bücher für das Umgehen oder die Partnerschaft mit einem solchen. Die Lösung beschränkt sich auf ein Wort: Weglaufen! Etwas anderes ist platterdings weder möglich noch angebracht. Ein Narzisst ist ein Narzisst ist ein Narzisst.

Während wir wissen, dass beispielsweise ein Alkoholiker nichts dafür kann und vielleicht alle möglichen Gewaltverbrecher auch nicht, weil sie eine schlimme Kindheit hatten oder andere Entschuldigungen, so gilt für den Narzissten nichts dergleichen. Der kann was dafür.

Es ist politisch völlig korrekt, einen Narzissten anzuklagen oder zu beschimpfen. Welche Erleichterung und Entlastung, dass man hier endlich mal unbesorgt den Schnabel aufmachen kann!

Auch, wer wenig bis gar keine Ahnung von Psychologie hat, erkennt einen Narzissten sofort. Das ist eindrucksvoll. In meiner frühen Jugend, erinnere ich mich, wusste jeder Jüngling auf ähnliche Art, was ‚Komplexe‘ sind. Und er konnte einem Mädchen jederzeit erklären, dass sie Komplexe hätte, wenn sie nicht mit ihm ins Bett wollte. 

Noch gibt es, soviel ich weiß, keinen Paragraphen, der Narzissmus verbietet. Jedoch wurde bereits im Tatort mit dem Faktum gearbeitet, dass wir alle wissen, wer hier nun wirklich böse ist. Der Narzisst ist der Mörder – wer denn sonst?

Unser unerträglicher Partner ist zweifellos ein Narzisst, weshalb sonst können wir ihn nicht bändigen? Und unser Chef ist auch einer. Er tyrannisiert uns, wo er kann, er nutzt uns aus, er bezahlt zu wenig. Ein klassischer Narzisst. Wir sind die Opfer und dürfen in diesem Fall wirklich mal jammern, weil wir uns – endlich mal! – alle einig sind: Ein Narzisst ist das Böse. Da kann man gar nichts machen.

Es gibt, wie im Märchen, eine einzige kleine Möglichkeit, ein schmales Tor, durch das er entkommen könnte: Es müsste zugeben, dass er einer ist. Dann ist er, im logischen Umkehrschluss, nämlich keiner. Weil, ein echter würde das nie zugeben. Der ist nicht nur böse, der ist auch vernagelt.

Ich möchte an dieser Stelle behaupten (ich lass gerade mal alle Gerndersternchen weg und betrachte mich einfach nur als Menschen) ich bin kein Narzisst. Auch, wenn es manchmal so wirkt. Ich vermute vielmehr, ich bin ein Soziopath. Aber ein netter.

Glücksfaktor: Nein. Eigentlich nicht.


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