Es war einmal ein Möwe*r, der wohnte bis vor Kurzem in Rettin – doch da wurde es ihm zu laut. Touristen mit Fischbrötchen sind im Prinzip okay, aber was zu viel ist ist zu viel. Jetzt lebt er in Haffkrug.
Herr Möwe*r heißt mit Vornamen Kayiiie-Uwè – ein traditioneller Name in seiner Familie. Er ist ein handfester Vogel und kann sich durchsetzen. So viele kräftige Möven gibt es an seinem Strandstück nicht, hauptsächlich Lachmöwen; aber die sind etwas albern und leicht beiseite zu fegen.
Von den Silbermöwen vor Ort ist Herr Möwe*r die stattlichste. Falls in seinem Bezirk ein Tierfreund Kekse, Currywurststückchen oder Käsewürfel von sich wirft, ist Kayiiie-Uwè derjenige, der die Häppchen mit schrillem Schrei für sich anzeigt.
Seit Kurzem hat er sogar – man kann ja nicht das ganze Strandstück auf einmal im Auge behalten – eine Assistentin, eine junge Silbermöve, Meyiiiike. Sie meldet ihm sofort, wenn jemand vom Imbiss rüber zum Strandkorb stapft. Häufig übernimmt sie auch das Betteln (das ist ein Kunststück, weil es mit Grazie und Würde geschehen muss. Eine Möwe ist ja kein Hund!) Und wenn sie was gespendet bekommt, bringt sie das zuverlässig ihrem Boss, Herrn Möwe*r. Am Ende des Tages darf sie dann ein Stück für sich behalten. Das funktioniert großartig.
Oder sagen wir mal, bis jetzt war das so.
Heute jedoch wartet Herr Möwe*r ungewöhnlich lange auf seinem Aussichtsposten, einem nicht vermieteten Strandkorb. Er sieht, dass Meyiiiike in Verhandlung liegt mit einem älteren Menschenpaar, dass Schinkenbrote ausgepackt hat. Es wirkt auch fast, als hätten die beiden seiner Assistentin etwas hingeworfen. Doch sie bringt es ihm nicht sogleich, wie sonst.
Als sie ankommt, ist ihr Schnabel leer.
„Kein Glück gehabt?“, fragt Herr Möwe*r erstaunt.
„Ach, ich bin eigentlich immer ein Glückskind“, lautet die merkwürdige Antwort. „Der Schinken war jedenfalls prima. Beste Qualität.“
Herrn Möwe*r bleibt der Schnabel offen stehen. „Du hast dich selbst bedient? Ohne meine Erlaubnis? Ohne, dass ich es dir zugeteilt habe?“
„Ja, hab ich. Der Tarif hat sich eben gerade geändert. Ich bekomme nicht mehr abends nur ein Stück Beute, sondern fünfmal am Tag, was sich bietet. Plus meine Abendration. Die brauche ich für meine arme alte Mutter, die hat einen Flügel gebrochen und kann sich nicht mehr selbst versorgen“, erklärt diese respektlose Möwe!
„Was für eine bodenlose Frechheit! Ich kann es nicht glauben!“ schreit Herr Möwe*r erbost. „Möchtest du mal meinen Schnabel spüren?!“
„Nö, nicht nötig. Und jetzt will ich Ihnen mal was sagen!“ – legt die junge Möwe los, „Eine andere Assistentin als mich finden Sie sowieso nicht. Sie sind sehr unbeliebt hier am Strand. Könnte sogar sein, dass alle gemeinsam auf Sie losgehen, wenn Sie nach mir picken. Dann können Sie sich nach Travemünde verzupfen! Ach, und übrigens, ich sag jetzt auch mal du zu dir …“
Herr Möwe*r ist platt. So was ist ihm noch nicht vorgekommen. Er klappt ein paarmal hilflos mit dem Schnabel.
Da guckt Meyiiiike plötzlich mitleidig und sagt in freundlicherem Ton: „Pass mal auf, einen Teil werde ich dir gerne abgeben, weil ich weiß, dass du als älterer Herr nicht mehr so flink und geschmeidig bist, um alles zu erwischen.“
Jetzt weiß Kayiiie-Uwè überhaupt nicht mehr, was er sagen soll.
„Na?“, fragt die freche junge Möwe nach einer Weile.
Herr Möwe*r wackelt mit dem Kopf und meint abweisend: „Ich überlege noch …“
„Dann überleg mal einen Schlag schneller! Dort drüben kommen Menschen, die haben Pommes dabei …“ ruft Meyiiiike. Beide schauen den Leuten entgegen, die durch den Sand auf sie zustapfen.
„Ja, also gut … Eigentlich eine nette Idee … Von deiner kranken Mutter musst du mir mal bei Gelegenheit mehr erzählen …“, sagt er schließlich.
„Gerne. Du kannst uns ja mal zu Hause besuchen. Aber jetzt – komm – jetzt belästigen wir die Menschen da unten mal ganz sachte, damit sie vergessen, dass Möwen füttern verboten ist!“
Beide fliegen vom Strandkorb, landen im Sand und machen den Menschen schöne Augen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann betteln sie heute noch!
Glücksfaktor, für mich immer: Möwen.