Eine Silhouette ist ein Schattenriss


 

eine Kontur, die sich – meistens – schwarz von einem hellen Hintergrund abhebt. Manchmal auch umgekehrt, aber traditionell ist ein Schatten dunkel, die Natur gibt es so vor.

Im 18. Jahrhundert hieß der französische Finanzminister Ètienne de Silhouette. Von ihm wurde behaupteten, er sei derart geizig, dass er in seinem Haus Bilder mit Scherenschnitten an den Wänden hätte statt der Ölgemälde. Weshalb diese ‚billige‘ Kunstform nach ihm benannt wurde.

Kurz darauf galt die Silhouette allerdings schon nicht mehr als billig, im Gegenteil: Eine Begeisterung für Schattenrisse, als Scherenschnitt oder gemalt, erfasste besonders intellektuelle Kreise. Jede halbwegs bedeutende Persönlichkeit wurde seitlich gedreht, um ihr Profil zu umreißen. Hier hätten wir denn beispielsweise Goethe:

Es gab sogar einen Silhouettenstuhl, auf dem das Opfer gewissermaßen festgeschraubt wurde, um besser sein Profil kopieren zu können.

Und obwohl im 19. Jahrhundert zunehmend die Fotografie das Portraitieren übernahm, sammelten doch etliche Feingeister wie verrückt Scherenschnitte, noch bis in die Zeit der Weimarer Republik, also ins erste Viertel des 20. Jahrhunderts.

Was mich daran speziell interessiert, ist Folgendes: Bevor mir der Löwe begegnete, bevor ich überhaupt etwas von seiner Existenz ahnte, sah ich zweimal kurz seine Gestalt, als ich in meinem Zimmer auf dem Sofa saß. Und beide Male war das lediglich ein dunkler Umriss gegen mein helles Fenster, die Silhouette eines Mannes mit langen Locken, der ganz wenig gebeugt steht, den Kopf halb seitlich erhoben, mit sonderbaren Rüschen an den Ärmeln.

Wer das war, ist mir erst später bewusst geworden. Eines Tages zeigte der Löwe mir zufällig ein Foto, das sein Bruder von ihm gemacht hat, als beide ungefähr siebzehn und achtzehn waren. Das erkannte ich sofort wieder. Nebenbei: Die Ärmel hatten keine Rüschen; sie waren nur hochgekrempelt.

Dass Geister einem erscheinen, weil sie unbedingt die Info loswerden müssen, wo sie zu Lebzeiten einen Schatz versteckt hatten oder um Untaten zu bejammern, die sie inzwischen bereuten – das ist ja nichts Besonderes. Aber wieso hab ich den Umriss meines späteren Mannes gesehen, gegen ein helles Fenster, genau so, wie sein Bruder es fünfzig Jahre vorher fotografiert hatte?

Glücksfaktor, wenn es um Silhouetten geht: ein schönes Profil …

 

 


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