Epitaph auf eine kleine Wohnung


Also ein Epitaph ist eine Grabrede, das gebe ich zu, und das Haus wurde ja keineswegs eingerissen. Ich bin nur ausgezogen. Und doch, ich hab das Bedürfnis, einen Nachruf zu schreiben.

Schlüsselübergabe zum 1. August – denn im April hatte ich die Wohnung gekündigt. Nach dem Mietvertrag soll sie nur ‚Besenrein‘ sein, was immer das bedeutet auf Teppichboden. Nein, das reichte mir nicht. Ich hab die kleine Wohnung nochmal auf Hochglanz gebracht, zwei Tage lang. Alle Schraubenlöcher in den Wänden gegipst und übermalt, die Fenster geputzt und den Balkon geschrubbt. Das hatte sie nämlich verdient.

Als die kleine Wohnung und ich uns zum ersten Mal begegneten, im Herbst 2016, da waren wir beide ein bisschen zerrupft. Ich frisch geschieden, und sie – na ja. Die letzte Mieterin hatte ein Drogenproblem, was das BKA dazu brachte, die Tür einzutreten.

Auf dem Boden war Graffity gesprüht. „Das  tut mir leid!“, versicherte der Hausmeister verlegen. Ich sagte: „Ach nein, im Gegenteil. Das zeigt doch, dass es sich hier gut schreiben lässt!“

In der winzigen Küche gab es weder einen Herd noch eine Spüle, jedoch 3000 tote Kakerlaken unter dem hochgebogenen Fußboden

Der Badezimmerboden sah auch nicht sehr hübsch aus – (aber immerhin war ein neues Klo angebracht worden. Das vorherige konnte nicht mehr).

Ich fand, die Wohnung hatte Potenzial. Sie war schön geschnitten.

Der Balkon wirkte zwar etwas verwildert, lag jedoch nach Süden und neben einer großen Birke

 Sowohl die kleine Küche als auch das kleine Bad besaßen ein Fenster, und direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, stand ein wunderschöner Ahornbaum.

„Ich nehme sie!“, sagte ich zum Hausmeister. „Alles, was sie braucht, ist etwas Kosmetik und viel Zuwendung.“

Ich nähte Gardinen (mit der Hand) und lackierte eine Kommode, die das Bettzeug enthalten sollte, als ‚Schlafkommode‘

Ich nähte und bestickte einen Wäschesack

fädelte Perlen an den Rand einer Lampe

und nähte einen Spitzenrand oben in den Duschvorhang, weil er zu kurz war …

Ich kaufte mir eine winzige Einbauküche im Landhausstil mit ganz schmalem Kühlschrank und Ein-Personen-Geschirrspüler

und ich lackierte später alle Fronten weiß

Ich strich überhaupt alles Mögliche weiß. Zum Beispiel den Balkon, und zwar von oben bis unten.

Die kleine Wohnung streckte sich vorsichtig und schien sich immer wohler zu fühlen.

Sie war, ganz nach Bedarf, Arbeitszimmer

Speisezimmer

und natürlich tagsüber Wohn- und nachts Schlafzimmer.

Ich fühlte mich wohl in ihr.

Ich pflege mit Sachen zu sprechen. Häufig sagte ich, wenn ich aufwachte und mich zufrieden umsah: „Guten Morgen, süße kleine Wohnung!“

Oder wenn ich nach Hause kam: „Hallo, meine kleine Wohnung!“

Dann nahm sie mich herzlich in ihre Wände.

Sie war ideal für einen Single mit Teddybär. Trotzdem haben der Löwe und Ernst und ich zwei Monate lang gemeinsam darin gewohnt und das ging auch ganz gut. Wir mussten nur etwas die Bäuche einziehen.

Nach meiner Scheidung hatte es einige Menschen gegeben, die sich einen Haufen Sorgen um mich machten: Wie es wohl mit mir weitergehen würde, nun wieder allein und schon so alt, Ogottogott.

Ich war auch neugierig gewesen, wie es weiterging. Aber recht zuversichtlich. Meine Romane haben für gewöhnlich Happyends. 

Nun saß ich, bevor der Hausmeister zur Schlüsselübergabe kam, auf der Fensterbank, schaute mich in der leeren kleinen Wohnung um und erinnerte mich. Das waren zwei sehr interessante, aufregende und inhaltsreiche Jahre gewesen. Nun fängt wieder etwas Neues an.

Ich hoffe, es geht der kleinen Wohnung weiterhin gut. Ich war glücklich in ihr …

Glücksfaktor: Zuversicht!


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