Wir wollen über den Harz zurück nach Hause fahren, um nicht einfach dumpf die Autobahn lang zu rauschen. Berbel hält sowieso nicht viel vom Rauschen. Wenn man nicht aufpasst, verringert sie heimlich ihre Geschwindigkeit. Am liebsten fährt sie 60 bis 80, alles andere hält sie für nervöse Unrast. Wir merken das dann daran, dass uns LKW überholen. Berbel, bitte! Du kannst doch auf der Autobahn nicht rumtrödeln!
An diesem Tag bin ich leider mit dem Navi in Streit geraten. Es hatte einen Straßennamen komisch ausgesprochen und ich hab es aus Versehen verbessert. Sollte man nicht tun. Nun ist es beleidigt und sagt nichts mehr – in dieser Beziehung viel konsequenter als Ernst, wenn er mal einschnappt. Es zeigt zwar noch, wo wir gerade langfahren und wo wir wahrscheinlich hin müssen – doch die ganzen wertvollen Hinweise, wie ‚Benutze einen der zwei rechten Fahrstreifen, um auf Bürgermeistermühlenstraße zu bleiben‘ enthält es uns vor. Es dauert nicht lange und wir haben uns vertüdelt. Noch dazu gibt es Umleitungen, von denen wir nicht ahnen, ob sie uns nützlich sind – wollen wir denn da hin?
Wir halten ziemlich oft am Straßenrand, um mit dem Navi zu schimpfen, es neu zu starten, es lauter zu stellen. Lauterstellen hat überhaupt keinen Zweck, wenn jemand sowieso nicht redet. Das dauert alles viel zu lange. Mittags wollten wir da sein, das können wir vergessen. Immerhin steht eins fest: Wir müssen nach Norden. Solange die Sonne scheint, ist das kein besonderes Problem. Aber manchmal führt eine Straße einfach nicht nach Norden, nur eine nach Westen und eine nach Osten. Und nun? Links oder rechts? Wir fahren eine ganze Weile, bevor wir merken: Dies hier war falsch. Immerhin lernen wir den Harz so etwas besser kennen.
Dabei fahren wir durch interessante Städtchen. Zwar anders als das Fachwerk in Bayern, sehen die alten Häuser hier doch ebenfalls sehr romantisch aus.
Im Übrigen haben wir den Eindruck, dass der Harz überwiegend aus Tannen auf Bergen besteht. Und das ist ja wohl auch seine Aufgabe.
Spätnachmittags kommen wir beim Gasthaus an, das liegt in dem kleinen Ort Wildemann nicht weit von Clausthal-Zellerfeld und gehört schon zu Niedersachsen. Neben unserem Zimmer rauscht der lebhafte Grumbach.
Jetzt sollten wir bei dem immer noch herrlichen Wetter ein bisschen herumwandern – uns das Denkmal vom Wilden Mann angucken, nach dem der Ort heißt und der hier, der Sage nach, in einer Höhle lebte – uns für’s Abendessen ein Restaurant suchen, denn unsere Herberge bietet nur Frühstück an.
Was will Ernst? Schlafen. Nicht mal Eis, nein, danke. Er ist zu müde, um Essen zu gehen! Berbel und ich fahren im Ort herum, um eventuell Brötchen zu kaufen und stellen fest, dass hier wegen Corona fast alles geschlossen ist. Geschäfte haben nur vormittags auf. Ich bekomme zwar einen Kaffee, werde jedoch freundlich darauf aufmerksam gemacht, das Café schliesse um 18:00 Uhr. Es ist halt nicht Saison.
Ich könnte natürlich nach Clausthal-Zellerfeld fahren, das ist nicht weit … Da steht die Berbel, staubig und erschöpft, und tut mir plötzlich leid. Wir hatten sie extra sauber geduscht vor unserer Reise, das hat sich erledigt. Sie hat sich so brav gehalten, die kleine alte Dame, für Stadt- und Einkaufsfahrten erfunden, keineswegs für lange Ausflüge.
Manchmal, wenn wir auf der Autobahn endlos hinter jemandem klemmen, der höchstens 80 fährt, überhole ich. Dann stelle ich mich mit aller Kraft auf das Gaspedal, den linken Fuß noch obendrauf, und Ernst und ich rufen ermutigend: „Berbel, du schaffst das! Los, Berbel! Ja!! Ja!! Hier kommt die schnelle Berbel!“ Und dann schaltet sie in den nächsten Gang (wodurch sie zunächst mal verlangsamt) und gibt sich fürchterlich Mühe. Sie beschleunigt auf 100, 110, 115, 118 – dann schaltet sie wieder und keucht und wird noch schneller: 120, 122! Dabei komme ich mir vor wie ein unbarmherziger Reiter, der einem armen alten Pony gnadenlos die Sporen gibt. Jetzt sind wir schon fast neben dem Auto, das wir überholen wollen – und dann sehe ich im Rückspiegel die ungeduldigen Scheinwerfer eines Porsche, der hinter Berbel heranstürmt. Ziemlich oft fallen wie dann eben doch hinter den Wagen zurück, der selbst nur 80 fahren kann – und der Porsche überholt uns verächtlich.
Die Berbel soll sich jetzt ausruhen, damit sie morgen den Rest der Heimreise schafft. Dann essen wir eben mal nichts, das ist gut für die Figur.
Als ich zurückkomme, begegne ich im Treppenhaus unserer sehr, sehr netten Wirtin. Die ist dagegen, dass wir hungrig ins Bett gehen. Gleich darauf klopft sie an unsere Tür und reicht einen Teller herein, auf dem sie uns mehrere kleine Brötchen gebuttert und belegt hat, liebevoll verziert mit Tomaten und Grünzeug! Ein Abendbrot wie von einer Mama gemacht. Ich hole dazu aus dem großen Kühlschrank im Keller, der dort für alle Gäste steht, ein Bier für mich und eine Flasche Sprudel für Ernst, dann können wir auf dem Zimmer essen. Das ist uns im Moment viel lieber als jedes Restaurant; davon hatten wir in den letzten Tagen genug. Wir gehen wirklich unverschämt früh ins Bett. Ernst bekommt noch eine Gute-Nacht-Geschichte, ein extra-kurze, dann schlafen wir in der hübschen Bettwäsche ganz großartig, ohne Mücke oder sonstige Störungen.
Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, sind wir das letzte Stück nach Hause gefahren. Da war uns das Navi glücklicherweise nicht mehr böse und hat sich wieder hören lassen und Berbelchen fühlte sich nach der Rast frisch und schluckte zuverlässig alle Kilometer bis nach Hause.
Glücksfaktor: Reisen. Aber auch nach Hause kommen …