
Doch, er ist ja immer noch der süße kleine Knuddelbär, ganz unter uns gesagt. Aber irgendwie zeigt er, seit er sich gerade hält, mehr Oberarmmuskeln. Und plötzlich haben wir ein nagelneues Problem. Das Männlichkeits-Problem. Sein aktuelles T-Shirt ist in einem vorsichtig militärischen Braun gehalten, passend zur khakifarbenen Shorts. Und bedruckt mit gefährlichen Tigern. Die liegen bitte nicht rum, die springen gerade zu. Neiß.
Ernst will keine Shirts mehr, auf denen Häschen sind. Fische auch nicht: die sind ‚zu harmlos‘. Deshalb hat er sich das neue selbst ausgesucht. Das durfte ‚auf keinen Fall so rosa‘ sein (wir hatten gar nicht die Absicht, ihm was in Rosa zu kaufen!) und so hellblau auch nicht. Kein ‚Babykram‘, soviel ist klar. Das ist erschütternd, weil Blau, gerade Hellblau, bis jetzt ganz entschieden seine Lieblingsfarbe war. Insofern besitzt Ernst einen Haufen Klamotten in dieser Farbe. Sollen die jetzt alle zur Altkleidersammlung?
Dass verschiedene seiner Kappen blau sind fällt ihm wahrscheinlich bloß deshalb nicht auf, weil er sie auf dem Kopf trägt und nicht sieht, außer, er guckt in einen Spiegel. In einen Spiegel guckt er aber nicht, weil: So was tun Mädchen!
Und da haben wir das Problem in seinem ganzen Ausmaß. Ernst ist auf dem Wege, ein Mann zu werden. Das wäre vor noch zwanzig Jahren einfach drollig gewesen. Aber da sind wir nicht mehr. Jetzt geht es darum, ein Bär*in gendergerecht aufzuziehen.
Eigentlich hat er lange nicht mehr geweint. Noch vor einigen Monaten: dauernd nasses Brustfell. Dies und das passte ihm nicht – er hat geheult. Irgendwas hat ihn gerührt – Tränchen. Neuerdings zieht er nur die Mundwinkel runter. Sein richtiger Papi hatte kürzlich einen kleinen Um-fall und ein etwas lädiertes Gesicht. Da wäre Ernst früher sofort in Tränen ausgebrochen. Jetzt hat er nur gesagt: „Ey, cool. Wie sieht der Andere aus?“
Wir mahnen ihn: „Ernst, du darfst weichere Gefühle nicht verdrängen!“
„Aber wenn ich doch gerade keine hab?“
Dann ist das bedenklich und nicht zeitgemäß.
„Minischnurz hat auch gesagt ich bin, ein Glück, keine Heulsuse mehr!“
Minischnurz ist zwar ein Mädchen, war aber schon immer ein Kerl. Die darf das auch, das ist gendergerecht.

So sitzt Ernst ganz in Braun und Khaki auf dem leider blauen Sofa von seinem richtigen Papi und antwortet auf die Frage, ob er Griesbrei zum Abendessen haben möchte: „Nee, lieber Bier.“
Er ist zurzeit eine ganz coole Socke. Bei Gelegenheit, wenn er mal richtig gute Laune hat, wollen wir ihn fragen, ob er nicht anstelle eines weiteren kleinen Sammelmotorrades ein Püppchen haben will …
Glücksfaktor: Ernst. Egal, ob männlich, weiblich oder wie immer.