der war matschig in der Rübe: Christian VII. von Dänemark und Norwegen.
Damals war ja ein König derjenige, der über Land und Leute, Krieg und Frieden bestimmte und Entscheidungen traf, allenfalls beraten von Ministern.
In Christians Fall konnte niemand übersehen, dass er ‚geistesgestört‘ war. Inzwischen denkt man, er habe an Schizophrenie gelitten. Aber gelitten hat weniger er selber als vielmehr seine Umgebung: Der König war, vorsichtig ausgedrückt, ein wenig schwierig.
Immerhin machte er am Anfang seiner Regierung den Ministern nicht viel Probleme. Christian gelangte auf den Thron, kurz, bevor er siebzehn war, ohne Ambitionen, ohne eigene Ansichten, ohne irgendeine Ahnung. Er war alles andere als ein geborener König.
Er verbrachte seine Zeit nach Möglichkeit mit seinem besten Freund und Saufkumpan Holck bei Festlichkeiten oder in Sündenpfuhlen. In letzteren begegnete er seiner Geliebten Anne, einer Prostituierten mit sehr viel Ahnung über sämtliche Schattierungen von Grau. Mit Holck und Anne war Christian glücklich. Wenn seine Minister es benötigten, legten sie ihm Papiere zum Unterschreiben hin, und das erledigte er jedes Mal ganz brav, froh, dass er nicht weiter behelligt wurde.
Bald nach Christians Krönung erachteten die Minister es als wünschenswert, ihn politisch klug zu verheiraten. Sie verhandelten deswegen mit dem König von England, und der rückte schließlich seine kleine Schwester Caroline heraus. Sie war eben fünfzehn und ziemlich verwirrt, weil sie nichts über Christian wusste.
Am 8. November 1766 wurde die Hochzeit auf Schloss Christiansborg gefeiert. Der junge König fand seine Frau ziemlich langweilig und kümmerte sich gerade eben genug um sie, damit ein kleiner Thronfolger angefertigt wurde. Den brachte Caroline zur Welt, als sie sechzehn Jahre alt war. Im Übrigen erzählte Christian überall gern herum, dass er sich nichts aus der Königin mache.
Deshalb nahm er sie natürlich auch nicht auf verschiedene Reisen mit, die er unternahm. 1769 brachte er einen Arzt aus Altona nach Kopenhagen mit, der ihn unterwegs von einer Krankheit geheilt hatte und ihm gut gefiel. Der Mann hieß Johann Friedrich Struensee, war Anfang dreißig und nicht einmal adelig. Trotzdem machte Christian ihn zu seinem Leibarzt und unterhielt sich gern und lange mit ihm, nicht nur über Krankheiten. Seine Minister waren alarmiert!
Struensee war intelligent und energisch, selbstsicher und gebildet, attraktiv und charismatisch. Eigentlich war er der geborene König. Er machte sich viele Gedanken darüber, wie ein Land regiert werden sollte, damit die Menschen darin glücklich wären. Und diese Gedanken teilte er dem jungen König ganz offen mit.
Sehr bald veränderte sich im Königreich eine Menge. Die Situation lediger Mütter erfuhr eine gewaltige, für das Jahrhundert ungewöhnliche Verbesserung. Die Pockenimpfung wurde eingeführt sowie die Meinungs- und Pressefreiheit, die Anhäufung von Orden und Ämtern ohne Verdienst verboten und die Phantasiegehälter der Minister enorm gekürzt. Worauf sie noch viel alarmierter waren. Bald darauf wurden viele von ihnen entlassen.
Am Anfang fand Christian das Reformieren ganz amüsant, doch bald langweilte es ihn. Um es vom Hals zu haben, machte er den energiegeladenen und ambitionierten Freund zum Minister, gewährte ihm Generalvollmacht und war damit vom ewigen Papiereunterschreiben befreit: Struensee war de facto Alleinherrscher von Dänemark und Norwegen. Und er fuhr fort, reinzuhauen. In 16 Monaten verfasste er 633 Dekrete, die das Land umkrempelten und zum fortschrittlichsten Sozialstaat der Welt machten.
Die Folter wurde abgeschafft, statt auf Industrie setzte Struensee auf Landwirtschaft. Er beschnitt rigoros die Rechte und Einnahmen des Adels, gründete Findelhäuser und Hospitäler und schaffte die Prügelstrafe in Schulen ab. Uneheliche Geburten fielen nicht mehr unter Straftaten, außerehelich geborene Kinder wurden ehelichen gleichgestellt. Die „Kirchenzucht“, in der uneheliche Mütter bloßgestellt wurden, entfiel.
Kopenhagen erhielt gepflasterte Straßen und Laternen, wodurch sich nächtliche Straftaten dramatisch minderten. Und die radikalen Sparmaßnahmen des neuen Ministers und Regenten verschafften dem verschuldeten Dänemark innerhalb eines Jahres einen nahezu ausgeglichenen Haushalt.
Wahrscheinlich waren wirklich viele Menschen im Land dankbar für die vielen Neuerungen und Verbesserungen. Aber falls man den Adel dazu zählte, gelang es Struensee nicht, jeden glücklich zu machen.
Und dann kam Amor ins Spiel und verdarb alles. Die neunzehnjährige Caroline und der stattliche Doktor gefielen sich gegenseitig sehr gut.
Ganz eigentlich war der König Schuld: Er stellte die beiden einander vor und bestand darauf, dass sie sich mochten.
Ganz eigentlich hatte Struensee anfangs noch die Absicht, auch die Ehe des jungen Königspaars zu sanieren. Er riet den beiden, gemeinsam auszureiten.
Ganz eigentlich fand Caroline das herrlich. Ihr englisches Blut liebte die Pferde und das Reiten.
Und als Christian sich davon auch bald gelangweilt zeigte – ritt sie eben mit Doktor Struensee aus. Mit dem konnte man sich nämlich, da hatte ihr Mann ganz recht, wunderbar unterhalten.
Der Doktor riet Caroline, in Herrenkleidern auf das Pferd zu steigen, um sich vernünftiger bewegen zu können als im Damensitz. Das nahm sie begeistert auf. Und darüber mokierte sich so mancher.
Caroline ließ sich sogar in ihrem Männeranzug malen. Gewagt war das schon – einige Leute hielten es für Gotteslästerung. Damals hielt man, wenn man zur Gemeinschaft gehören wollte, lieber nichts von Diversität.
König Christian übrigens hatte offenbar nicht das Geringste dagegen, dass seine langweilige Frau und sein hilfreicher Freund sich näherkamen. Vielleicht passte es ihm sogar ganz gut.
Als Caroline von Struensee eine Tochter bekam, behauptete Christian (obwohl er wissen musste, dass es nicht stimmen konnte), das sei sein Fleisch und Blut. Anlässlich der Taufe dieser Tochter erhob er den Arzt in den Grafenstand.
Aber es hatte sich herumgesprochen, was die Königin und den allgewaltigen Minister verband. Nicht nur der Adel, das gesamte Volk zeigte sich befremdet.
Schließlich waren nur noch drei Menschen mit den herrschenden Zuständen zufrieden: das Königspaar und der regierende Arzt. Und da half es nichts, dass die Reformen so viel Segen taten. Die dänischen Untertanen fühlten sich in ihrem Moralgefühl verletzt. Das schmerzte schlimmer als Folter, Prügelstrafe und Pocken zusammen.
Plötzlich hieß es, die bessere Behandlung unverheirateter Mütter bedeute, Struensee fördere Unmoral und Prostitution und die Abschaffung der Folter sei nicht gottgewollt. Seine Feinde arbeiteten im Geheimen einen Plan aus, den Mann zu stürzen.
Nach einem Maskenball, 1772, wurde der Arzt um vier Uhr morgens festgenommen und in den Kerker geworfen. Bald gestand er – und übrigens gestand auch Caroline – das Liebesverhältnis mit der Königin. Er wurde wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Christian unterschrieb (eventuell ungern) das Todesurteil, als es ihm hingehalten wurde. Später äußerte er, es hätte ihm Leid getan.
Der König musste sich von Caroline scheiden lassen, die nach Celle geschafft und von ihren Kindern – dem Sohn von Christian und der Tochter von Struensee – getrennt wurde.
Der Arzt, der einige Jahre lang Dänemark so beispielhaft regiert hatte, wurde geköpft, gevierteilt und auf’s Rad geflochten. Was in umgekehrter Reihenfolge sicher noch unbequemer geworden wäre.
Glücksfaktoren?
Einige. Die nach Struensees Vernichtung angetretenen Regenten drückte zwar zunächst die meisten der Reformen zurück, doch nahm Friedrich, Carolines Sohn, sie wieder auf, als er König wurde. (Der junge Mann war, im Gegensatz zu seinem Vater, äußerst klar im Kopf.) Dänemark ist immer noch ein ansehnlicher Sozialstaat sowie ein erfolgreiches Agrarland.
Struensee mag es genossen haben, für eine Weile König zu sein und so viel Gutes und Vernünftiges tun zu können wie kaum ein blaublütiges gekröntes Haupt vor ihm.
Und eine erfüllte Liebe, wenn auch kurz, wird es schon gewesen sein zwischen Caroline und ihm. Dafür spricht die gemeinsame Tochter Luise Auguste, die ihrem Vater zeitlebens schrecklich ähnlich sah und trotzdem immer als dänische Prinzessin galt …