Feuer auf der Volturno!


Das brach am 9. Oktober 1913 aus – achtzehn Monate vorher sank die Titanic, davon hat man gehört oder Filme drüber gesehen. Vom Unglück der Volturno ist sehr wenig bekannt. Um zur Legende zu werden, fehlte ihr die Größe und vor allem das nötige BlingBling der berühmten Erste-Klasse-Passagiere.

Für eine italienische Schifffahrtsgesellschaft 1906 in Schottland gebaut, sollte das große Dampfschiff ursprünglich nur Fracht befördern.

Später gehörte zu seinen Aufgaben auch der Passagierverkehr. 1909 ging die Volturno in den Besitz einer kanadischen Steamship Company über. 

Am 2. Oktober 1913 lief das Schiff von Rotterdamm aus, um den Atlantik Richtung New York zu überqueren. 657 Personen befanden sich an Bord, 93 Besatzungsmitglieder, 24 Erste-Klasse-Passagiere (britische, französische und deutsche Geschäftsreisende, Urlauber, drei Paare auf Hochzeitsreise) sowie 540 Dritte-Klasse-Passagiere. (Die zweite Klasse schien man ausgespart zu haben.) Die aus der dritten waren überwiegend osteuropäische Juden, die in Amerika ein neues Leben beginnen wollten. Auf der Passagierliste standen ungewöhnlich viele Kinder, vor allem natürlich von den Auswanderfamilien.

Der große Dampfer galt als besonders sicher, ausgestattet mit 19 geräumigen Rettungsbooten, 23 Rettungsbojen und 1511 Schwimmwesten. (Man hatte ja schließlich aus dem Untergang der Titanic gelernt.)

Am dritten Reisetag fand zudem eine ausführliche Übung für den Notfall statt. Die Passagiere erfuhren, wie sie sich schleunigst und diszipliniert in die Rettungsboote begaben und wie man diese, falls es das Unglück wollte und kein Besatzungsmitglied erreichbar war, auf das Wasser lösen konnte.

Erwähnt wurde auch, dass sich leicht entflammbare Güter unter Deck befanden, Öl, Torf, Stroh, Chemikalien und große Mengen Spirituosen. Weshalb darum gebeten wurde, auf keinen Fall an Deck zu rauchen. Wer mit einer Zigarette erwischt  wurde, musste 5 Dollar Strafe zahlen.

Einige Tage später, am frühen Morgen des 9. Oktober, geriet die Volturno in einen atlantischen Herbststurm erster Ordnung. Es regnete aus Eimern, die Wellen wurden immer größer und unregelmäßiger, was den Stewards, die versuchten, die Frühstückstische zu decken, einigen Verdruss bereitete. 

Ein junger Mann hielt sich an Deck an der Reling fest und versuchte, gleichzeitig frische Luft zu schöpfen und seine Lunge mit Tabakrauch zu füllen. Unglücklicherweise kam in diesem Moment ein Steward auf ihn zu. Vielleicht waren 5 Dollar für den rauchenden Mann eine große Summe. Er schnippste seine Zigarette hastig durch einen willkommenen Schlitz im Schiffsrumpf zu seinen Füßen, um nicht damit erwischt zu werden und machte ein harmloses Gesicht.

Wenige Minuten später, ziemlich genau um 6 Uhr in der Frühe, gab es einen gewaltigen Rumms, der sämtliche Passagiere, die noch nicht wach gewesen waren, buchstäblich aus der Koje warf. Die kleine Zigarette hatte getan, was sie konnte. Beim Rumms flogen bereits die Kessel in die Luft und töteten auf der Stelle vier Besatzungsmitglieder.

Die Passagiere, obwohl geschult durch ihre Notfall-Übung, rannten in einiger Panik durcheinander auf dem schwankenden, schaukelnden, schnell von schwarzem Qualm  überwaberten Schiff. Sie suchten nach den Schwimmwesten. Einige zogen sie an und sprangen anschließend über Bord.

Der junge Kapitän, Frances Inch, versuchte mithilfe der Mannschaft zunächst, im Frachtraum zu löschen. Schließlich stand jedoch fest, dass die Ladung tatsächlich fast nur aus Lieblingsfutter für ein kräftiges Feuer bestand: Es hatte keinen Zweck. Inch ließ SOS funken und befahl, die Rettungsboote zu füllen und zu fieren. Die ersten beiden Boote wurden, wie man das inzwischen verinnerlicht hatte, komplett mit Frauen und Kindern gefüllt und zu Wasser gelassen. Das erste schmetterten die Wellen gegen den Schiffsrumpf, an dem es zerbarst, das zweite geriet direkt unter das Heck des Dampfers – was wieder hochkam, waren zertrümmerte Holzteile. Von beiden Booten überlebte kein Insasse. Mehr als 120 Personen starben.

Kapitän Inch befahl entsetzt, das Ausbooten einzustellen. Seine Passagiere waren jedoch anderer Ansicht – sie wollten unbedingt das brennende Schiff verlassen und kletterten, Kinder im Arm, in ein drittes Rettungsboot, das von einem Passagier abgeseilt wurde – das hatten sie ja schließlich gelernt. Leider nicht gründlich genug. Das Boot ging nur am hinteren Ende auf das wildbewegte Wasser und blieb oben hängen – worauf seine Ladung ins Meer gekippt wurde.

The Burning of the S.S.Volturno, Gemälde von William Shackleton

Aus Angst vor den Flammen sprangen Mütter, ihre Kindern umklammernd, über Bord. Auch eins der Paare auf Hochzeitsreise warf sich, engumschlungen, in die Wellen.

Nach der Katastrophe der Titanic hatte man noch 1912 die Hörwache eingeführt, eine Pflicht, auf allen Schiffen rund um die Uhr die Funkstationen zu besetzen. Das war ein großes Glück im Unglück der Volturno. Elf Schiffe trafen innerhalb von 24 Stunden nach dem ersten Notruf ein. 

Zunächst hatten auch sie Probleme damit, Rettungsboote in der aufgewühlten See  abzusetzen. Der amerikanische Tanker Narrangansett verteilte dann am Morgen des 10. Oktober rings um die Unglücksstelle Öl im Meer, was die Wellen schwerfälliger macht und beruhigte. Die russische Czar rettete 102 Passagiere, die englische Devonian 39, die französische La Touraine 40, die belgische Kroonland 90 und die beiden deutschen Schiffe Grosser Kurfürst 105 sowie die Seydlitz 46. Auch die Leute, die sich noch an Bord der Volturno befanden, wurden jetzt befreit. 136 Menschen waren ums Leben gekommen, vor allem in den Rettungsbooten, 521 wurden gerettet.

Die tatkräftige Hilfe durch Schiffe anderer Nationen war möglich, weil das Unglück vor dem ersten Weltkrieg stattfand. Ein Jahr später wäre es bedeutend schwieriger geworden. 

Ganz zum Schluss, wie es sich gehört, verließ Kapitän Frances Inch sein sterbendes Schiff, die Schiffspapiere in der Hand, seinen Hund auf dem Arm.

Glücksfaktor: Es wird heutzutage viel weniger geraucht als früher!

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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