Gerda saß mit finsterer Miene auf dem Boden, in sämtliche Decken gewickelt. Auf ihren Schultern lagen vorwurfsvoll die dünnen gelben Korkenzieherlocken.
»Guten Morgen und frohe Weihnachten«, sagte ich.
Jetzt merkte Gerda, dass ich ihr mattgrünes Kleid, das Cape mit dem Pelzkragen und ihre Lackstiefelchen anhatte. Sie stand auf und riss wie wild an einem Ärmel, um mich auszuziehen.
»Das ist nicht deins!«, schrie sie.
»Ich weiß. Du machst es gerade kaputt. Ich zieh es gleich aus und hänge es in deinen Schrank«, sagte ich.
»Wo warst du?!«, schrie Gerda noch lauter mit weit aufgerissenen Augen. »Wo hast du die Nacht verbracht, du missratenes Mädchen?!«
»Komm raus, hier ist es kalt«, sagte ich.
Im Vorbeigehen nahm ich den Eimer mit. Sie hatte es verschmäht, ihn zu benutzen, er war leer und sauber.
Gerade schloss unten Erna die Tür auf und schlurfte in die Küche, um uns Frühstück zu machen.
Später hielt ich Gerda meine linke Hand hin: »Leutnant Herder und ich haben uns gestern verlobt.«
Meine Stiefmutter bekam ganz schmale Augen: »Du lügst! Dieser Ring ist auf keinen Fall von ihm … Das glaube ich dir nicht!«
Ich zog den Ring ab und zeigte ihr die Gravur.
Jetzt wusste sie nicht weiter. »Aber – ihr seid euch ja vorgestern zum ersten Mal begegnet? Wieso – ?«
Ich lächelte geheimnisvoll und informierte sie darüber, dass Curd und ich bei seinem nächsten Heimaturlaub heiraten würden. Seine Tante Irmtraut sei auch einverstanden.
»Eine reizende Frau«, behauptete ich.
»Die hast du kennen gelernt? Das ist doch nicht zu glauben! Mir wollte er sie partout nie vorstellen«, wütete Gerda.
»Du bist ja auch mit jemand anders verheiratet«, erinnerte ich sie.
Dann ging ich ins Wohnzimmer, zündete endlich die Kerzen am Baum an und tauschte mit Erna Geschenke aus. Sie hatte mir süße weiß-rosa Socken fürs Bett gestrickt, ich schenkte ihr ein neues Gesangbuch für die Kirche.
In der Küche erzählte ich ihr flüsternd, wie ich den Weihnachtsabend verbracht hatte und half ihr, die magere Gans zu füllen.
Mittags servierte Erna uns den Braten und Gerda und ich aßen, ohne ein einziges Wort miteinander zu reden.
Am frühen Nachmittag klingelte schon wieder der Fernsprecher im Flur.
Ich hörte Gerdas helle, durchdringende Stimme: »Herr Leutnant Herder, mir ist unbegreiflich, wie Sie meine arglose Freundschaft so missbrauchen konnten, dass Sie meine mir anvertraute minderjährige Stieftochter dazu angestiftet haben, sich auf ungezogenste, geradezu kriminelle Art aus dem Haus zu schleichen und bei Ihnen über Nacht zu bleiben! Ich werde das selbstverständlich zur Anzeige bringen, das ist ja ein Fall für die Sittenpolizei und meinen Gatten muss ich auch informieren, der an der Front schließlich ganz andere Sorgen hat, sowie meinen Stiefsohn – Sie können sich denken, dass dies Verhalten für Sie unangenehmste Folgen – – Jetzt werden Sie also noch unverschämt! Pommern – ich weiß nicht, was Sie mir mit Pommern wollen, wovon reden Sie eigentlich – – «
Dann wurde sie ruhiger und hörte lange nur zu.
Schließlich sagte sie ziemlich ruhig; »So, warum sollen wir uns streiten. Ich meine auch, ich sollte meinen Gatten nicht mit derartigen Sorgen behelligen. Helene sagte, Sie hätten sich mit ihr verlobt? Ja, was denken Sie sich denn dabei? Der Fratz ist sechzehn … Na, eigentlich geht es mich auch nichts an, wenn das Backfischchen sich ins Unglück bringt, sie ist am Ende nicht mein leibliches Kind, ich hab sie nicht erzogen, ich bin nicht verantwortlich. Und Sie wollen jetzt wohl mit Ihrem ‚Fräulein Braut‘ sprechen? Ich hole sie an den Apparat …«
Das tat sie keineswegs, sie ließ einfach den Hörer los, dass er an der Wand hin und her baumelte, und ging an mir vorbei, ohne mich anzusehen.
Ich rannte zum Fernsprecher und meldete mich.
»Ich wollte mich noch einmal verabschieden, gleich geht mein Zug. Wie fühlst du dich?«, fragte Curd, »Hast du großen Ärger gehabt?«
»Nein, nein, keine Sorge. Mir geht es gut. Pass auf, dass du heil und gesund zurückkommst«, sagte ich, wie ich das schon zu Papa und Harro gesagt hatte und wie ich ihnen immer schrieb.
»Sage mir mal, Kind, bist du wirklich erst sechzehn?«
»Nur noch vierzehn Tage lang. In einem Jahr bin ich achtzehn«, tröstete ich ihn, »Und am nächsten Weihnachten ist wirklich Frieden, dann leben wir bestimmt schon zusammen!«
»Gott geb’s«, sagte er pessimistisch. »Ich habe meiner Tante über dich geschrieben. Mir ist nicht wohl dabei, dich jetzt allein zu lassen. Sobald es möglich ist, werde ich mit deinem Vater sprechen, damit er keinen falschen Eindruck bekommt. Glaubst du …« – er sprach leiser, dabei musste er noch in der leeren Tantenwohnung sein, nicht mal der verreiste Mops konnte ihn hören – »… glaubst du, Gerda wird deinem Vater erzählen, dass sie und ich …«
»So dumm ist nicht mal die«, antwortete ich und ich hatte bessere Gründe, jetzt sehr leise zu sprechen. »Wie weit ging denn das mit euch beiden?«
Er lachte. »Ach, real überhaupt nicht, nur viele sehnsuchtsvolle Briefe. Wenn sie ihm meine zeigen sollte – daraus geht ja hervor, was in ihren eigenen stand. Das wird sie nicht tun. Helene, jetzt holt mich die Droschke ab. Du, das war der schönste Heiligabend, den ich je erlebt habe …«
»Für mich auch«, sagte ich …