Gute alte Zeit


Als meine Mutter sich bereits in ihren späten Neunzigern befand, begann sie plötzlich, von der „guten alten Zeit“ zu sprechen. Das sah ihr nicht ähnlich. Sie war immer die personifizierte Modernität gewesen, chic und rasch und unkonventionell.

Ich pflegte zu fragen, welche gute Zeit sie denn meinte: die vor dem Krieg, die nach dem Krieg oder die mittendrin? Aber es ging ihr eigentlich nur darum, dass sie bestimmte Gegenstände und Rituale vermisste, an die sie gewöhnt war.

Wer über die Marotten älterer Personen mit den Augenbrauen wackelt, sollte einkalkulieren, dass er ebenfalls älter wird, falls er es nicht managed, vorher zu sterben. Ich vermisse inzwischen auch einige Dinge.

Beispielsweise Anrufbeantworter. Ja, es gibt noch welche, aber die verraten nicht, wem sie dienen. Eine fremde, höchst neutrale Stimme erklärt, sie sei der AB der Nummer Soundso. Ob diese Nummer dem Menschen gehört, den wir sprechen möchten, bleibt rätselhaft. Womöglich, falls wir uns verwählt haben, erzählen wir einer wildfremden Person, dass der Arzttermin beruhigend war und dass wir hoffen, uns nächste Woche mal zu begegnen. (Andererseits verwählt sich ja niemand, weil er keine Telefonnummern auswendig lernt, sondern alle einprogrammiert hat.) Wenige ABs funktionieren noch so wie der von Marion, die ungeniert ihren Namen nennt, immer wieder mit einem neuen kleinen Vers und jedesmal reimt es sich – das ist familiär und ich weiß jedenfalls, mit wem ich verbunden bin. Im Übrigen ist es natürlich veraltet, auf den Anrufbeantworter zu quatschen. Stattdessen jagt man fix eine WhatsApp-Nachricht raus, da weiß man, wo sie landet.

Ach, und dann die Bettbezüge. Neuerdings besitzen sie keine Knöpfe mehr, nur noch Reißverschlüsse. Und an denen sitzt kein Zipper. Man muss wie ein ungezogenes kleines Kind seine Finger hineinstecken und damit auf- und zureißen. Wie praktisch. Früher hätte Mama gesagt: „Lass das, Schätzchen, der Reißverschluss geht kaputt.“ Tut er auch. Das freut den Hersteller, denn der moderne, gestresste Mensch wird sich kaum hinsetzen, den alten Reißverschluss raustrennen und einen neuen einnähen. Oder stattdessen Knöpfe befestigen und Knopflöcher einarbeiten. Zeit ist Geld. Preiswerter kommt es, neue Bettwäsche mit weiteren zipperfreien Reißverschlüssen zu kaufen.

Glücksfaktor: So alt zu sein, dass man über neumodische Sachen quengeln darf …


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