Happy happy End


„Ich merke“, sagt neulich eine Freundin, „dass es vorbeigeht.“

Das Leben nämlich. Sie ist jetzt 60 und meint, so viel Sinn hätte das nun alles nicht mehr. Also es lohnt nicht mehr. Ist ja doch bald vorbei. 

So was höre ich nicht selten, besonders von Frauen. Vielleicht würden ältere Männer ja ähnlich reden, wenn sie sich nicht genieren täten, rumzujammern.

Wozu soll man sich in der Lebensphase der Vergänglichkeit noch schminken oder ins Fitness-Studio gehen, womöglich sogar einen Umzug planen (außer den in die Senioren-Residenz) oder noch was Neues lernen? Lohnt nicht mehr.

Das ist so, als würden die Darsteller eines Theaterstücks dem Publikum nach der Pause kurz mitteilen, dass sie jetzt nach Hause gehen. Weil ja nach dem letzten Akt sowieso alles vorbei wäre, so dass es nicht mehr lohnt, ihn zu spielen. Die Zuschauer würden vermutlich nicht sehr freundlich reagieren und ihr Eintrittsgeld zurückverlangen – denn woher sollen sie jetzt wissen, wie das Stück ausgeht?

Wer nicht alt werden will, der muss rechtzeitig sterben. Wer jedoch lange lebt, wird nicht umhin kommen, alt zu werden. Es geht nicht darum, sich miesepetrig damit abzufinden. Die Herausforderung lautet, das Beste daraus zu machen und es zu genießen.

Eine andere Freundin klagt, sie befinde sich fortgesetzt unwohl – auf die eine oder andere Art. Hier zwickt es und dort ziept es – es gäbe keinen Tag mehr, an dem gar nichts weh tut. Erklärung: Das ist das Alter.

Dazu kann ich aus meiner persönlichen Erfahrung sagen, ich hatte, soweit ich mich erinnern kann, kaum je einen Tag, an dem nichts war. Hier hat’s gezwickt und dort hat’s geziept,  ständig. Mal gab es schlimmere Zeiten und mal etwas bessere. Auf keinen Fall jedoch wurde es ‚immer schlimmer‘. Was lebt, jede Pflanze, jeder Organismus, kämpft ums Gleichgewicht. Ist etwas nicht im Gleichgewicht, macht es sich (meistens) bemerkbar durch Ziepen oder Zwicken. Wir sind inzwischen derart überzeugt von unserem Anrecht auf Symptomlosigkeit, dass wir sofort dafür sorgen, jede kleineste Unregelmäßigkeit im Befinden zu entfernen – ohne auch nur hinzuhören, was sie uns vielleicht sagen wollte. 

Natürlich, Materie hält nicht ewig, unsere Körper sind dem Verschleiß unterworfen. Einiges ist zu reparieren, anderes nicht. Einiges wird schlechter – anderes auch besser. Doch, wirklich. Zum Beispiel sagte mir vor fast 20 Jahren, als ich häufig Probleme mit den Bandscheiben bekam, ein kluger Orthopäde: „Freuen Sie sich drauf, das wird immer weniger, je älter Sie werden!“ – und das stimmte. An Schilddrüsenbeschwerden litt ich schmerzlich während der Pubertät, danach nie wieder. Ein Grund zur Freude!

Und  wie ist das mit der Lebensperspektive?

Zunächst mal ganz verschieden. Dieser Mensch benötigt ab Mitte 60 den Rollator, ein anderer macht Freeclimbing mit Anfang 80. Ich las kürzlich erstaunt das Statement einer noch sehr attraktiven prominenten Dame Mitte 70: „In unserem Alter hat man keine Lust mehr auf Sex.“ Ach? Falls es ihr selbst so geht, wie kommt sie dazu, es auf alle anderen zu beziehen?

Waren wir nicht alle zu unterschiedlichen Terminen fertig und bereit, erwachsen zu sein? Spätentwickler und Frühvollendete, solche, die ewig bei Mama rumhingen und welche, die ganz jung eine Familie oder eine Firma oder beides gründeten? Wenn das so verschieden sein konnte, weshalb gehen dann so viele Leute gewohnheitsmäßig davon aus, im Alter wären wir alle gleich? Alter ist nicht in erster Linie eine Sache der Jahre, sondern eine des Bewusstseins. 

Und dann lief mir am Wochenende noch jemand über den Weg, der über den verbreiteten und stetig zunehmenden Jugenwahn zeterte. Zwar ist – einerseits – fünfzig das neue dreißig. Doch andererseits wirst du ab 50 aussortiert, was Karriere oder Partnerschaft angeht.  

Zum Schluss, als ich nach Hause fuhr, war ich selbst etwas deprimiert. Und dann hörte ich zufällig das neue Lied der Mitt-Siebziger-Generation, ABBA. Ich mochte sie nicht so besonders, als sie jung und mordsmäßig erfolgreich waren. Einige Songs: ja. Aber ihre Plastik-Glimmer-Präsenz und die meistens heiter klingenden Melodien (wenn auch manchmal zu gar nicht so oberflächlichen Texten) behagten mir nicht. Ein Freund hat es jetzt sehr schön formuliert: ‚ABBA-Fan zu sein war in meiner Schulzeit nur peinlich …  aber sie sind weise und sie bringen die Vibrations, die die Welt gerade so dringend braucht …‘

Genau so empfand ich es auch. Fast 40 Jahre nach ihren letzten Aufnahmen haben sie etwas komponiert und getextet, das sehr anmutig und geschmackvoll fortsetzt, was sie mal waren – nur irgendwie veredelt. Die Mädels klingen ganz unverkennbar wie sie selbst, durchaus nicht brüchig, dünn und bemitleidenswert. Sie scheinen im Wesentlichen über ihr früheres Stimmen-Material zu verfügen – und doch dem ist etwas hinzugefügt, eine Art Patina und harmonische Gelassenheit, die wohltut. Erfahrungen kann man nirgends kaufen oder kostenlos  bekommen.

We do have it in us
New spirit has arrived
The joy and the sorrow
We have a story and it survived

Wir haben es in uns, wir haben eine Geschichte und sie hat überlebt.

Glücksfaktor: Etwas, das nur mit der Zeit kommt – Reife …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


2 Antworten zu “Happy happy End”

  1. Liebe Dagmar,
    wieder so klug geschrieben!
    Ich habe vor einem Jahr einen Kreis aus meiner Schulzeit verlassen, weil die Themen nur noch um Krankheiten und Ängstlichkeit kreisten und etwa die Parkplatzsuche bei gemeinsamen Treffen ein schier unüberwindliches Hindernis darstellte. Neue Menschen kennenlernen? Ach nee, man hat doch seinen Kreis. Etwas Neues lernen? Wozu?
    Mit dem Altwerden ist es wie mit anderen körperlichen Übergängen auch (Frauen wissen, was ich meine): von allen Seiten wird uns Angst gemacht, und dann ist es gar nicht schlimm, sondern eine Erleichterung. Lass uns fröhlich alt werden!

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