Als ich klein war, lasen nur unbehütete Kinder so was. Die mit den schmutzigen Knien und womöglich einem Schlüssel am Band um den Hals. Comics galten als Schund. Erwischte ein Lehrer einen Schüler mit einem ‚Heftchen‘, dann klappste er ihm damit womöglich links und rechts um die Ohren, bevor er den Schund in den Papierkorb warf.
Nicht, weil etwas Unanständiges drin gestanden hätte. Es handelte sich einfach um eine allgemeine, damals festverwurzelte Meinung der gebildeten, kultivierten Menschen: Das ist ganz primitiv, weil es viele Bilder und kaum Text enthält.
Ich war ein sehr behütetes Kind, aber meine Eltern waren anders, fast immer gegen den Strom. Sie bekamen mich relativ spät, nach fast 15 Jahren Ehe, und erzogen mich, völlig anachronistisch, irgendwie antiautoritär. Ich durfte grundssätzlich alles lesen, was in ihrem Bücherschrank stand, es gab kein Tabu. Mein Vater, ein großer Literaturkenner, beschenkte mich mit Büchern, ununterbrochen. Es gab nicht nur zum Geburtstag oder zu Weihnachten Lesestoff, sondern nahezu wöchentlich. Und keineswegs Kinderbücher.
Er nahm mich, bevor ich zur Schule kam, mit in die Bibliothek des NDR in Hamburg und wir versorgten uns mit dem Suchtstoff in großen Kartons. Er achtete sehr darauf, dass ich nichts las, was seiner Ansicht nach ’schlecht geschrieben‘ war – weshalb ich nie Karl May erhielt. Stattdessen James Fenimore Cooper und Friedrich Gerstäcker.
Aber gerade mein Vater war ein großer Comic-Fan! Und er kaufte mir nicht nur jede Woche ein neues Micky-Maus-Heft, er las es mit mir gemeinsam und amüsierte sich über die Späße der gescheiten Übersetzerin Erika Fuchs. Da er für das Mittelalter schwärmte, lasen wir beide ‚Prinz Eisenherz‘ von Hal Foster. Mein Vater war entzückt vom sorgfältig recherchierten geschichtlichen Hintergrund. Hal Foster schrieb unter anderem auch ,Die Abenteuer zweier Ritterknaben‘, beinah ein Lehrbuch über viele Bräuche des Mittelalters.
Dann entdeckte mein Vater ‚Illustrierte Klassiker‘ und trieb, so gut er konnte, jedes dieser Hefte auf. Die brachten in Comic-Form beispielsweise die Dramen von Shakespeare oder Moby Dick, eine wunderbare, bunte Kurzeinführung und ein Anreiz, die Werke selbst zu lesen.
Mein Vater starb früh, und so drangen wir nie bis zu den Mangas vor.
Ich bin ihm für so vieles dankbar. Unter anderem dafür, dass er mir, gegen den Strom, die Leidenschaft für Comics beigebracht hat …