Ich sah sie zum ersten Mal …


… auf dem Weg in meine neue Schule.

Ich war zehn Jahre alt und wurde am ersten Tag von einigen Mädchen begleitet, die in meine Klasse gingen. Die eine grinste plötzlich, stieß mich in die Seite und sagte leise: „Da ist Renate! Du musst mal zu ihr sagen: ‚Ist deine Mutter tot?‘ Dann heult sie, jedes  Mal wieder!“

Die auf uns zukam war zierlich, hatte sehr langes hellblondes Haar und ein schönes, ernstes kleines Gesicht.

„Na, Renate, ist deine Mutter tot?“ rief das Mädchen neben mir in langgezogenem, leierndem Ton. Mir wurde plötzlich klar, in was für einer Schule ich da gelandet war.

Die Angesprochene blieb einen Augenblick stehen und schaute uns an. Ihre kristallklaren hellblauen Augen füllten sich langsam mit Tränen. Dann schnupfte sie einmal auf, fuhr sich kurz mit dem Ärmel unter der Nase weg, warf den Kopf etwas zurück und ging im Bogen um uns herum auf die Schule zu.

Später waren wir befreundet. Sie hatte ja nicht viel Zeit, weil sie ihrem Vater den gesamten Haushalt führte, einkaufte, kochte und ihre kleinen Brüder bändigte und erzog. Aber wenn sie ein paar Stunden erübrigen konnten, spielten wir in unserem Garten. Beispielsweise brachte ich ihr ‚Fechten‘ bei mit Degen aus Holz. Und wir redeten immer viel.

Vor vier Jahren haben wir uns bei einem Schultreffen wiedergefunden.

Jetzt ist es wie früher. Wenn wir einige Stunden erübrigen können, sehen wir uns. Wir fechten eigentlich gar nicht mehr. Aber wir reden so viel wie damals …

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Nati!

Glücksfaktor, immer wieder: Freundschaft.


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